WIIW: Inflation in Osteuropa fast überall im zweistelligen Bereich
Ausfall der Agrar-Exporte aus Russland und der Ukraine treibt
Lebensmittelpreise in die Höhe - Sanktionen gegen Russland
zeigen mittelfristig ihre Wirkung - GRAFIK
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Die Inflation in den Länder
Zentral-, Ost und Südosteuropas (CESEE) ist im Mai fast überall in
den zweistelligen Bereich geklettert, einzige Ausnahmen war
Slowenien. Am rasantesten war der Preisanstieg in der Türkei. Grund
für die hohen Teuerungsraten waren unter anderem der Ausfall von
Agrar-Exporten aus Russland und der Ukraine. Das knappe Angebot auf
den Weltmärkten trieb die Preise in die Höhe, so das Wiener
Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW).
Wie aus dessen Sommerprognose hervorgeht, wird die Teuerung in
den elf osteuropäischen EU-Ländern (Bulgarien, Tschechien, Estland,
Kroatien, Ungarn, Litauen, Lettland, Polen, Rumänien, Slowenien und
Slowakei) heuer durchschnittlich bei 11 Prozent liegen. Die Preise
seien äußerst volatil, es sei aber relativ sicher, dass die
Inflationsraten im Großteil der Region heuer auch im Gesamtjahr
zweistellig ausfallen werden. Das WIIW rechnet mit einer Besserung
der Situation im nächsten und übernächsten Jahr. Dabei seien
Lebensmittel, Energie und Transport die "Inflationstreiber
schlechthin", sagte WIIW-Ökonom Mario Holzner bei einem
Pressegespräch am Mittwoch.
Die hohen Lebensmittelpreise seien für die Menschen ein besonders
großes Problem, weil zwischen 20 und 40 Prozent, in manchen Ländern
sogar 50 Prozent ihrer Ausgaben darauf entfallen. In Österreich
machen die Lebensmittel rund 10 Prozent der Ausgaben aus. "Eines der
größten Probleme ist die Blockade der Schwarzmeerhäfen. Sie
verhindert den Export eines Großteils des ukrainischen Getreides,
was die weltweiten Lebensmittelpreise weiter in die Höhe treiben
wird", so WIIW-Ökonomin Olga Pindyuk.
Besorgniserregend sei, dass auch bei der Kerninflation (ohne
Lebensmittel und Energie) ein Anstieg zu beobachten sei. Dieser
Umstand könne die Wachstumsaussichten in den kommenden Monaten
deutlich beeinträchtigen.
Der Krieg in der Ukraine wirke sich unterschiedlich stark auf die
23 untersuchten Länder aus. Die Volkswirtschaften der
osteuropäischen EU-Länder seien vergleichsweise widerstandsfähig und
dürften heuer trotz hoher Inflation, Energiekrise,
Lieferketten-Probleme und nachlassender Dynamik in der Industrie
durchschnittlich um 3,3 Prozent wachsen. Das sei aber auch der
Erholung nach der Coronapandemie geschuldet - ein Effekt der sich in
der 2. Jahreshälfte abschwächen werde.
In der Ukraine, Russland, Belarus (Weißrussland) und der Republik
Moldau werde die Wirtschaftsleistung hingegen zurück gehen, wobei
der Einbruch in der Ukraine mit minus 38 Prozent besonders tief
ausfallen werde. In Russland erwarten die Ökonominnen und Ökonomen
ein BIP-Minus von 7 Prozent, in der Frühjahrsprognose hatte das WIIW
noch mit minus 9 Prozent gerechnet.
"Die russische Zentralbank hat sehr clever gehandelt und den
Wechselkurs an den Ölpreis gekoppelt", sagte Holzner. Der Ölpreis
sei so stark gestiegen, dass auch die Exporte Russlands nominell
angezogen hätten. Beim Ölpreis gebe es allerdings immer wieder große
Schwankungen, die sich nun auch im Rubel niederschlagen. Die
Sanktionen gegen Russland würden mittelfristig ihre Wirkung zeigen,
die russische Industrie habe bereits großen Schaden genommen. Auch
westliche Technologie, etwa Flugzeugteile, ließen sich nicht so
einfach substituieren, Holzner sieht deshalb eine "sehr schmerzhafte
Entwicklung für die russische Volkswirtschaft, mittel- wie
langfristig".
Die Tatsache, dass Russland den Gashahn bisher nicht vollständig
zugedreht hat, und Europa "erlaubt" die Speicher über den Sommer
noch aufzufüllen, deutet für Holzner daraufhin, dass es nicht im
Interesse Russlands ist, die Gaslieferungen komplett einstzustellen.
Ausgeschlossen sei der Gas-Stopp allerdings nicht.
In der Ukraine habe der Krieg inzwischen Schäden im Ausmaß von 60
Prozent des Vorkriegs-BIP an Gebäuden und Infrastruktur verursacht.
Obwohl sich die Wirtschaft inzwischen an die neue Realität anpasse,
sei die Kapazitätsauslastung weiterhin um 40 Prozent niedriger als
vor Kriegsbeginn. Westliche Investitionen könnten allerdings
Produktivitätssteigerungen bewirken, die attraktivsten Sektoren
dafür seien IT und Landwirtschaft.
Die Perspektive eines EU-Betritts könnte in der Ukraine auch als
Anker für Reformen dienen und die Maßnahmen zur
Korruptionsbekämpfung im Land vorantreiben, sagte Pindyuk. Dennoch
sei die Ukraine wahrscheinlich noch Jahrzehnte davon entfernt, ein
vollständiges EU-Mitglied zu werden.
Aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtungen mit Osteuropa werde
auch Österreich die Auswirkungen des Ukraine-Krieges zunehmend zu
spüren bekommen. Die Widerstandsfähigkeit bei wichtigen
Handelspartnern wie Tschechien, Ungarn, Polen und der Slowakei werde
nachlassen. Die größte Herausforderung bestehe kurzfristig aber in
Österreichs hoher Abhängigkeit von russischem Erdgas. Auch bei Erdöl
sei Österreich indirekt abhängig von Russland - ein großer Teil des
Österreichischen Erdöls kommt aus Kasachstan und fließt durch
Pipelines in Russland. Nach der Blockade der Öllieferungen durch
Russland am Mittwoch rechnet das WIIW aber mit einer diplomatischen
Lösung und einer Wiederaufnahme der Lieferungen "in nicht allzu
ferner Zukunft".
(Redaktionelle Hinweise: Grafik 0976-22, 88 x 112 mm)
cgh/phs
ISIN
WEB http://www.wiiw.ac.at/
ISIN DE0005937007
WEB http://www.man.eu/de/