Voestalpine Kapfenberg fährt weltweit modernstes Edelstahlwerk hoch
Vorstand Rotter: "Hohe Energie- und Ressourcenersparnis -
Investitionskosten von rund 350 Mio. Euro dürften sich um 10
bis 20 Prozent erhöhen - BILD
Die voestalpine fährt ihr modernstes - und das
erste in Europa seit Jahrzehnten errichtete - Edelstahlwerk
sukzessive hoch. "Das ist schon ein Meilenstein nach dem
Spatenstich, wir sind in der Zielgeraden bei unserer größten
Investition seit langem in der Steiermark", so Franz Rotter,
Vorstand der Voestalpine-Division High Performance Metal, am
Mittwoch in Kapfenberg. Rund 150 Mitarbeiter werden beschäftigt, in
zwölf bis 18 Monaten werde das Werk volle Kapazität erreichen.
Die Investition war ursprünglich auf rund 350 Mio. Euro
angesetzt, die Verzögerung um ein Jahr u. a. aufgrund der
Konsequenzen aus der Corona-Pandemie, werde die Sache allerdings
verteuern, um etwa 10 bis 20 Prozent, genau lasse sich das noch
nicht sagen, so Rotter. Man habe jedenfalls in Schlüsseltechnologien
investiert, die "uns eine führende Stellung in den relevanten
Segmenten sichern wird", so Rotter.
Das nach vier Jahren Bauzeit neu errichtete Edelstahlwerk, das
die bestehende Anlage der voestalpine Böhler Edelstahl GmbH & Co KG
in Kapfenberg ersetzt, ist auf die Erzeugung von hochqualitativem
Vormaterial für Flugzeugkomponenten, Werkzeuge für die
Automobilindustrie, Equipment für die Öl- und Gasförderung oder für
den 3D-Druck von hochkomplexen Metallteilen spezialisiert. Die
beiden Anlagen - das alte und das neue Werk - würden intermittierend
runter bzw. hochgefahren. "Würden beide gleichzeitig gefahren,
würden wir der Steiermark das Licht abdrehen", sagte Rotter, der
auch erklärte, dass das alte Kapfenberger Werk in den
Grundstrukturen rund 100 Jahre alt gewesen sei. Das alte Werk
erneuern hätte rund ein dreiviertel Jahr Stillstand bedeutet, das
konnten wir uns nicht leisten."
Wenn man nicht führend in Metallurgie sei, könnte man in der
Weiterverarbeitung nicht reüssieren, deshalb habe man 2018 mit der
Investition begonnen. "Wir sind mitten in Kaltinbetriebnahme, jede
einzelne Anlagengruppe - mechanische Abläufe, Datenverarbeitung,
Steuerung, alles im Betrieb ohne den flüssigen Stahl - wird bis Ende
des Sommer schrittweise hochgefahren, dann folgt die
Warm-Inbetriebnahme, etwa des Elektrolichtbogenofen bis zum Herbst",
kündigte Rotter an. Man produziere rund 190.000 Tonnen
Fertigstahlprodukte bisher im alten Werk, mit dem neuen Werk könne
man die Menge nochmals um rund 20.000 auf 205.000 Tonnen steigern.
"Uns ging es aber auch um Umwelt, Nachhaltigkeit und
Technologieführerschaft, das sind neue Benchmarks in Umwelttechnik,
die wir setzen, die ihresgleichen suchen", geriet Rotter bei der
Präsentation ins Schwärmen.
Der Elektrolichtbogen werde zu 100 Prozent aus erneuerbarerer
Energie betrieben, man habe geschlossene Wasserkühlkreisläufe, was
den Verbrauch um 90 Prozent per annum senke. Die Abwärmenutzung
stelle für die Stadtwerke Kapfenberg Fernwärme zur Verfügung. Der
Strom komme aus österreichischer Erzeugung, so Rotter auf
Journalistenfragen. Erdgas sei auch weiterhin für den Betrieb eine
Conditia sine qua non, aber erst in der Weiterverarbeitung des
Stahls. Die voestalpine fahre seit vielen Jahren Projekte, um eine
Energiereduktion umzusetzen, von zwei Prozent pro Jahr. Ein
Sonderinvestitionsprogramm sei in Ausarbeitung, mit dem eine weitere
Verringerung von 5 Prozent binnen zwei Jahren möglich sei.
"In der Steiermark brauchen wir pro Jahr 8.830 Gigawattstunden
Erdgas. Wir partizipieren an der voestalpine-Strategie der
gesicherten Versorgung. Rund 1,5 Terawattstunden sind in Auffüllung,
das hilft über einen etwaigen Komplettlieferstopp drüber. Für das
alte Werk brauchten wir rund 15 GWh Gas, also sparen wir eine Hälfte
bei neuen Werk ein. Das lässt sich noch einmal reduzieren durch
alternatives, etwa strombasierendes Energieaufkommen. Das geht bei
manchen Prozessen um die 800 Grad Celsius, über 1.000 Grad wird es
ohne Gas schwierig", schilderte Rotter.
Der neue Leitstand schaue aus wie im Raumschiff Enterprise, so
der Vorstand. Alle Prozesse werden über einen "digitalen Zwilling"
mit den optimalen Einstellungen abgeglichen und stetig verbessert
und angeglichen. Die Qualifizierung der Mitarbeiter erfolge durch
ein hauseigenes Kompetenzzentrum. Ferner werde ab 2023 ein ganz
neuer Lehrlingscampus errichtet.
"Früher war es schon so, dass im Werk fast ausschließlich Männer
gearbeitet haben, mit den neuen Prozessen und der Digitalisierung
tut sich eine Beschäftigungswelt für weibliche Mitarbeiter auf",
sagte Rotter. Rund 150 Beschäftige gebe es im Werk, fünf bis zehn
Frauen in der Administration, aber den Anteil wolle man ausbauen.
Auf die Frage, ob man das Werk in dieser Form in der jetzigen
Situation noch einmal erreichten würde, sagte Rotter: "Uns half das
Glück des Tüchtigen, es würde heute wohl enorm mehr kosten.
Natürlich tut es weh, dass wir erst mit einem Jahr Verzögerung
eröffnen können. Aber die neue Herangehensweise hilft die
Standortkosten in Europa aufzufangen. In den nächsten zwei Dekaden
wird kein einziges Werk weltweit technisch an uns herankommen",
sagte Rotter.
pek/ha/stf
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