Konjunktur
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Datum/Zeit: 26.06.2022 13:24 Quelle: Konjunktur - Presseaussendung |
Eurozone-Wirtschaftswachstum schwächt sich aufgrund stagnierender
Nachfrage und explodierender Preise deutlich auf 16-Monatstief ab
Das Wirtschaftswachstum der Eurozone hat sich im Juni
aufgrund der stagnierenden Nachfrage stark auf ein 16-
Monatstief verlangsamt. Die Industrieproduktion wurde
erstmals seit zwei Jahren gedrosselt, und die
Geschäftstätigkeit im Servicesektor hat sich spürbar
abgekühlt, insbesondere in konsumnahen Bereichen.
Die Geschäftsaussichten binnen Jahresfrist fielen so
wenig optimistisch aus wie zuletzt im Oktober 2020.
Zurückzuführen waren die Nachfrageflaute sowie der
eingetrübte Ausblick auf die steigenden
Lebenshaltungskosten, die verschärften
Finanzierungsbedingungen, die Besorgnis über die
Energieversorgung und Lieferketten im Zusammenhang
mit dem Ukraine-Krieg und die anhaltenden
coronabedingten Störungen. Der Preisdruck blieb indes
so hoch wie nie zuvor vor Ausbruch der Pandemie, auch
wenn die dritte Abschwächung des Kostenanstiegs in
Folge darauf hindeutet, dass der Höhepunkt der
Teuerung hinter uns liegt.
Der S&P Global Flash Eurozone Composite PMI® sank
gegenüber Mai um 2,9 Punkte auf 51,9 – der tiefste Wert
seit Beginn des Aufschwungs vor 16 Monaten und die
zweite Abschwächung in Folge.
Gleichzeitig stagnierte der Auftragseingang für Güter
und Dienstleistungen erstmals seit Beginn der
Nachfragebelebung im März 2021.
Am schlimmsten hat es die Industrie erwischt, wo die
Produktion erstmals seit zwei Jahren zurückgefahren
wurde. Obwohl der Rückgang nur leicht war, deutet
einiges darauf hin, dass sich die Drosselung im Juli
weiter beschleunigen könnte, da der zweite
Auftragsrückgang hintereinander im Berichtsmonat so
stark ausfiel wie zuletzt im Mai 2020.
Im Servicesektor schwächte sich das Wachstum den
zweiten Monat in Folge ab und fiel so gering aus wie seit
Januar nicht mehr. Bei den Neuaufträgen schlug das
zweitniedrigste Plus seit Mai 2021 zu Buche - damals
begann die Nachfrage wieder anzuziehen.
Detailinformationen zum Servicesektor zeigen, dass das
im April und Mai verzeichnete Rekordwachstum in den
Bereichen Tourismus und Freizeit im Juni fast zum
Stillstand gekommen ist. Verantwortlich dafür waren
laut Befragten die steigenden Lebenshaltungskosten
und ein Abklingen des pandemiebedingten
Nachholeffekte. Begleitet wurde die nachlassende Verbrauchernachfrage von einem erneuten Rückgang
im Bereich Vermittlung von Finanzdienstleistungen &
Immobilien angesichts der verschärften
Finanzierungsbedingungen. In den Bereichen Transport
und unternehmensnahe Dienstleistungen verlangsamte
sich das Wachstum, was teilweise auf die sich
verschlechternde Lage in der Industrie zurückzuführen
war.
Die Industrieproduktion wurde abermals durch weit
verbreitete Lieferengpässe beeinträchtigt, die häufig
mit dem Ukraine-Krieg und den Lockdowns in China
zusammenhingen, wenngleich das Ausmaß der
Lieferverzögerungen abnahm. So verlängerten sich die
Lieferzeiten im geringsten Ausmaß seit Dezember 2020,
was jedoch zum Teil auf die zum Erliegen gekommene
Nachfrage nach Vorprodukten zurückzuführen war, was
wiederum mit dem stärksten Aufbau der
Fertigwarenlagerbestände seit über zwei Jahren
zusammenhing. In den beiden Vorjahren hatte die
Nachfrage nach Vorprodukten über weite Strecken ja
enorm angezogen.
Der Stellenaufbau verlangsamte sich auf ein 13-
Monatstief, da die Industrie- und Serviceunternehmen
gleichermaßen ihre Expansionspläne wegen des sich
verschlechternden Nachfrageumfelds und Ausblicks
zurückschraubten.
Die Geschäftsaussichten binnen Jahresfrist fielen so
wenig optimistisch aus wie zuletzt im Oktober 2020. In
der Industrie trübte sich der Ausblick so deutlich ein wie
zuletzt im Mai 2020, während die Zuversicht der
Dienstleister auf den tiefsten Wert seit Oktober 2020
sank. Ausschlaggebend hierfür war die Gemengelage
aus steigenden Lebenshaltungskosten, der Besorgnis
über die Energie- und Nahrungsmittelversorgung vor
dem Hintergrund des Ukraine-Krieges, den verschärften
Finanzierungsbedingungen, anhaltenden
Lieferengpässen, oftmals im Zusammenhang mit den
Lockdowns in China, sowie den sich insgesamt
verdüsternden Konjunkturaussichten.
Trotz der zweiten Abschwächung in Folge im Vergleich
zum Allzeithoch im April blieb der Anstieg der Verkaufs- bzw. Angebotspreise für Güter und Dienstleistungen
höher als jemals zuvor vor Ausbruch der Pandemie in
der über 25-jährigen Umfragegeschichte. In beiden
Sektoren schwächten sich die Raten ab.
Auch der Anstieg der Einkaufspreise verlangsamte sich
im Juni zum dritten Mal hintereinander, er blieb
allerdings der vierthöchste seit Beginn der Erhebung
dieser Daten im Jahr 1998. Kostentreibend wirkten sich
die höheren Energie- und Transportpreise, verbreitete
Preissteigerungen auf Lieferantenseite sowie der
gestiegene Lohndruck aus. Auf Sektorenebene lief die
Entwicklung allerdings auseinander: In der Industrie
legten die Einkaufspreise mit der niedrigsten Rate seit
Mai 2021 zu, im Servicesektor stiegen sie stärker als im
Mai, was zum Teil auf die Weitergabe früherer Rohstoff- und Energiekosten-steigerungen an die Löhne
zurückzuführen war.
Auf Länderebene vermeldete Deutschland das
schwächste Wirtschaftswachstum seit Dezember, was
auf den neuerlichen Produktionsrückgang in der
Industrie und die Abkühlung im Servicesektor
zurückzuführen war. Aufgrund des Rekordanstiegs der
Einkaufspreise bei den Dienstleistern beschleunigte
sich in Deutschland auch der Preisauftrieb insgesamt.
Frankreich hatte beim Wachstum zwar die Nase vorn,
doch auch hier schwächte sich die Rate gegenüber den
vier Vormonaten ab. Die Industrieproduktion brach
regelrecht ein, während der Servicesektor spürbar
abkühlte.
Auch in den übrigen von der Umfrage erfassten
Eurozone-Ländern ließ die Wachstumsdynamik
gegenüber dem Allzeithoch im April nach, hier wuchs
die Wirtschaft mit der niedrigsten Rate seit Januar. Die
Industrieproduktion kam nahezu zum Erliegen, die
Geschäfte der Dienstleister liefen schlechter als in den
zurückliegenden vier Monaten.
Chris Williamson, Chief Business Economist bei S&P
Global Market Intelligence, kommentiert den aktuellen
Eurozone Flash-PMI:
„Dem Wirtschaftswachstum der Eurozone geht
allmählich die Puste aus, da der vormals kräftige
Rückenwind durch den pandemiebedingten
Nachfragestau mehr und mehr nachlässt und vom
Schock der steigenden Lebenshaltungskosten und dem
sinkenden Unternehmens- und Verbrauchervertrauen
überkompensiert wurde.
Lässt man die Pandemiemonate mit den Lockdowns
außen vor, kam es im Juni zum stärksten
Konjunkturabschwung seit dem Höhepunkt der globalen
Finanzkrise im November 2008.
Die Abkühlung bedeutet, dass die aktuellen Juni-Flashes einem BIP-Wachstum von mickrigen 0,2%
entsprechen - ein drastischer Rückgang gegenüber den
0,6% im März - wobei es in der zweiten Jahreshälfte
2022 wahrscheinlich noch schlimmer kommen wird. Das
Neugeschäft ist ins Stocken geraten, angeführt vom
Einbruch der Nachfrage nach Industrieerzeugnissen,
und einer rückläufigen Nachfrage nach
Dienstleistungen, vor allem weil Verbraucher
zunehmend auf ihre Finanzen achten und sparen.
Gleichzeitig ist das Geschäftsklima so stark
eingebrochen wie selten zuvor vor der Pandemie seit
der Rezession im Jahr 2012. Dies deutet auf einen
bevorstehenden Abschwung hin, sofern die Nachfrage
nicht wieder anzieht.
Gleichzeitig bedeuten steigende Bestände an
Fertigwaren, dass die Industrie in den nächsten
Monaten wahrscheinlich versuchen wird, Kapazitäten
abzubauen, was neben der schlechteren Lage im
Servicesektor und der schwindenden Zuversicht
unweigerlich das Beschäftigungswachstum
beeinträchtigen wird.“
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