Grasser-Prozess - Grasser-Anwalt kritisiert Anklage und Nicht-Anklage
Stundenlanges Plädoyer von Wess zu angeklagten und nicht
angeklagten Tatbeständen - Ramprecht "unglaubwürdig" - Berner
laut Hochegger-Aussage "Schlitzohr" - "Doppelte" Anklage
"Vollholler" - BILD
Der Anwalt von Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser,
Norbert Wess, ist am Donnerstag seit 10 Uhr vormittags in langen
Ausführungen über die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft
hergezogen. Wess kritisierte dabei sowohl die Anklage als auch Teile
der ursprünglichen Anklageschrift, die vom Oberlandesgericht Wien
aufgehoben oder zu Ermittlungen zurückverwiesen wurden - also gar
nicht angeklagt sind.
Der Hintergrund: Die Anklageschrift wurde von den Staatsanwälten
bereits im Juli 2016 verfasst, einige Angeklagte haben dagegen
Einsprüche eingelegt. Die Prüfung durch das Oberlandesgericht Wien
(OLG) hatte dann zu einer rechtskräftigen Anklage im April 2017
geführt, aufgrund derer nun Grasser und 13 weitere Angeklagten im
Prozess sitzen.
Das OLG Wien hatte von vier angeklagten Bereichen zwei genehmigt,
nämlich die Schmiergeld- und Untreue-Vorwürfe bei der Privatisierung
der Bundeswohnungen (Buwog u.a.) und bei der Einmietung der Finanz
ins Linzer Terminal Tower-Bürohaus. Ein weiterer ursprünglicher
Vorwurf betreffend der Vergabe der Durchführung der
Buwog-Privatisierung an die Investmentbank Lehman Brothers, wurde
vom OLG ganz gekippt. Ein vierter ursprünglicher Anklagevorwurf
betreffend der mangelnden Erlösmaximierung für die Republik bei der
Privatisierung der Bundeswohnungen wurde vom OLG Wien
zurückverwiesen - für weitere Ermittlungen.
Wess nahm nun in seinem Plädoyer zu den seiner Ansicht nach
falschen Darstellungen in der Anklageschrift der WKStA Stellung -
unabhängig davon, ob es sich um Teile der rechtskräftigen Anklage,
oder um Teile der ursprünglichen aber abgelehnten bzw.
zurückverwiesenen Anklage handelte. Zur Lehman-Vergabe und zur Rolle
von Grassers früherem Mitarbeiter Michael Ramprecht breitete Wess
sich ausführlich aus. Ramprecht sei "völlig unglaubwürdig", sagte
Wess.
Auch die Finanzprokuratur, die sich als Privatbeteiligte dem
Prozess angeschlossen hat, bekam ihr Fett ab. Wess sinnierte über
ihre Forderung nach den 9,6 Mio. Euro, die bei der
Buwog-Privatisierung geheim an Peter Hochegger und Walter
Meischberger geflossen waren. "Wenn das Geld wirklich - und wir
bestreiten das massiv - aus einer allfälligen Korruptionshandlung
herrühren würde, dann wäre das Zivilgeschäft nichtig, dann ist eine
Rückabwicklung vorzunehmen, der gesamte Buwog-Verkauf
rückabzuwickeln, wenn Sie das weiter für sich reklamieren würden,
liebe Finanzprokuratur, dann brauchen Sie einen guten
Strafverteidiger, dann begehen Sie Geldwäsche."
Auch der laut Anklage "gemeinschaftliche Tatplan" von Grasser,
Meischberger, Hochegger und Ernst Plech, sich in Grassers Amtszeit
bei Privatisierungen und anderen Amtshandlungen des Finanzministers
zu bereichern, wird vom Anwalt zurückgewiesen. Willibald Berner
hatte ausgesagt, er sei von Hochegger informiert worden, dass ein
kleiner Kreis von Persönlichkeiten der FPÖ - einerseits um Grasser,
andererseits um den damaligen FPÖ-Chef und Kärntner Landeshauptmann
Jörg Haider - sich bei diversen Privatisierungsprojekten bereichern
wolle. Wess stellte die Aussage von Berner, damals Kabinettschef von
Verkehrsminister Michael Schmid (FPÖ), als unglaubwürdig dar. Er
führte dazu eine Aussage des - mitangeklagten - Hochegger an, der
Berner in einer Einvernahme als "Schlitzohr" bezeichnet habe.
Nach der Mittagspause setzte Wess sein Plädoyer mit neuen
Vorwürfen fort: "Ich halte es für einen Vollholler, dass Grasser
vorgeworfen wird, 9,6 Mio. Euro gegenüber dem Bund einbehalten zu
haben und Untreue gegenüber der Immofinanz zu begangen zu haben",
wandte er sich gegen den seiner Ansicht nach "doppelten" Vorwurf.
Dass Grasser alles daran gesetzt habe, dass es beim Buwog-Verkauf
zu einer zweiten Bieterrunde kommt, damit dann der "richtige" Bieter
den Zuschlag erhält und Schmiergeld fließt, wies Wess heute
ebenfalls zurück. Grasser habe sich hier auf seine Berater
verlassen. Und im übrigen gebe es überhaupt kein Indiz dafür, dass
der entscheidende Tipp, wie viel die Immofinanz bieten muss um den
Buwog-Zuschlag zu erhalten, von Grasser komme.
(Schluss) gru/stf/tsk
ISIN AT00BUWOG001 AT0000609607
WEB http://www.buwog.at
http://www.porr-group.com