RBI: Aktien auch 2022 alternativlos - EZB wohl bald vor einem Schwenk
Renditen geringer, doch ATX auch heuer wieder Outperformer -
2022 vier US-Zinserhöhungen erwartet, 2023 nochmals -
Brezinschek: EZB-Zinsanhebung vielleicht doch schon heuer
Auch im Jahr 2022 sind Aktien aus Sicht
der Finanzmarktexperten von Raiffeisen Research ohne Alternative in
der Veranlagung. Die Zeiten zweistelliger Kursgewinne bzw. Renditen
seien aber vorbei - die leicht erreichbaren, tief hängenden Trauben
gepflückt. Der Wiener Börse-Leitindex ATX dürfte auch heuer wieder
zu den Outperformern zählen, hieß es am Freitag. Bis gegen
Jahresende wird von der EZB ein Schwenk erwartet mit Zinserhöhungen
spätestens 2023.
Inflation und Zinsen seien bestimmend an den Kapitalmärkten,
wobei die Inflation länger bleibe und hartnäckiger sei als zunächst
angenommen, sagte Gunter Deuber, Leiter von Raiffeisen Research. Von
den Notenbanken könnten Überraschungen kommen, osteuropäische hätten
angesichts hoher Teuerungsraten schon Zinsen angehoben. In den USA
habe dies die Fed bereits angekündigt - die EZB trotz ihres
keineswegs eingeschränkten Spielraums noch nicht. Für Ende 2022
erwarte man sich eine Änderung in der Kommunikationspolitik der
Eurohüter, so Deuber.
Nach der Rebound der Konjunktur auf das Vorkrisenniveau sei mit
einem fortgesetzten Aufschwung zu rechnen. Man sehe ein
konstruktives makroökonomisches Umfeld, die starken Jo-Jo-Effekte
der letzten eineinhalb Jahre durch Corona würden zu Ende gehen, für
2023 sei ein Übergang zu einem normalen Konjunkturjahr zu erwarten.
Österreich gehöre zu den "Erholungskaisern" in der Eurozone: Nach
dem sehr heftigen Einbruch 2020 um 6,7 Prozent habe es 2021 beim BIP
mit Plus 5,3 Prozent eine dynamische Erholung gegeben, für heuer
rechne man mit 4,5 Prozent Zuwachs, für 2023 mit 2,2 Prozent. Die
Unternehmensgewinne in Österreich hätten sich sehr positiv
entwickelt, bei den ATX-Unternehmen würden sie heuer nochmals
zulegen. "Der ATX dürfte auch heuer wieder zu den Outperformern
zählen", so Equity-Research-Leiter Christian Hinterwallner.
Allerdings knabbere die Inflation an den Ertragsraten, und es
seien am Aktienmarkt keine zweistelligen Renditen mehr zu erwarten.
Die hohe Teuerung, angetrieben durch den starken Anstieg der
Energiepreise, habe auch mittelfristige Implikationen. Für die
Eurozone rechnet man bei Raiffeisen für heuer mit 3,6 Prozent
Inflation, das ist deutlich mehr als die 3,2 Prozent, die die EZB
erwartet. Allerdings werde die Kernrate (ohne Energie und
Nahrungsmittel) heuer bei nur 2,3 Prozent liegen und 2023 nicht mehr
über 2 Prozent.
Aus Lohnsteigerungen gebe es in der Eurozone noch deutlich
weniger Druck als in den USA - oder in Osteuropa. Im CEE-Raum hätten
Notenbanken bereits Leitzinsen erhöht, etwa in Tschechien auf 3,75
oder in Ungarn auf 4 Prozent, erinnerte Deuber in einem
Online-Pressegespräch. Allerdings gebe es in Zentraleuropa einen
Inflationsdruck wie in den USA, die Kernraten hätten bis zu 5, 5 1/2
oder 6 Prozent betragen. Auch die sehr engen Arbeitsmärkte würden
hier die Inflation hochtreiben. Auch wenn es in Europa insgesamt
noch keinen Druck von der Lohnseite gebe, sollte man die
mittelfristigen Inflationsrisiken nicht unterschätzen.
Die geldpolitische "Entkoppelung" zwischen Europa und den USA
hält Deuber für unnotwendig, für "nicht angezeigt", denn die
wirtschaftliche Erholung sei in Europa fast so wie in den USA. "Der
Spielraum der EZB ist nicht mehr eingeschränkt", so der Experte. Bis
Dezember habe die EZB das Inflationsthema "heruntergespielt", meinte
RBI-Chefanalyst Peter Brezinschek, erst in der letzten Zinssitzung
am 16. Dezember habe man das Wort "temporär" in Bezug auf die hohe
Teuerung gestrichen. Die US-Fed habe zugleich schon klargemacht,
dass ein mittel- und längerfristiges Inflationsproblem gebe: "Die
Kommunikation von Fed-Chef Powell ist eindeutig: Die erhöhte
Teuerung ist eine Gefahr für das Ziel Vollbeschäftigung." Die RBI
rechne ab März mit vier US-Zinserhöhungen, die Mitglieder des
Fed-Offenmarktausschusses (FOMC) selbst mit drei. Das werde sich
"2023 fortsetzen", es werde dann weitere vier Zinsanhebungen geben,
so Brezinschek. Erst 2024 werde ein Einpendeln auf ein normales
Niveau erfolgen.
"Im Herbst 2022 ist die entscheidende Phase, wo die EZB Farbe
bekennen muss", meinte der Chefanalyst der Raiffeisen Bank
International (RBI). Die EZB versuche zwar so lange wie möglich, das
Einlagenzinsniveau negativ bzw. den Haupt-Refi bei Null zu halten,
aber die Meinungen in der Europäischen Zentralbank seien "breit
gefächert" und das Wording werde "vorsichtiger". Eventuell könnte es
doch schon Ende dieses Jahres Zinserhöhungen geben, glaubt der
RBI-Chefanalyst persönlich. Im offiziellen Ausblick hat Raiffeisen
Research eine EZB-Zinsanhebung erst für 2023. Im ersten Schritt
werde man wohl vom negativen Einlagesatz abgehen, so Brezinschek.
Die Höhe der Staatsschulden seien "kein Hemmnis für Zinserhöhungen",
widersprach er einem öfter gehörten Argument. Nicht deren Höhe sei
interessant für die Staaten, nur die Abreifungspolitik.
Auch wenn mögliche Sanktionen gegen Russland von den USA oder aus
Europa im Zusammenhang mit der Ukraine "derzeit nicht Teil unserer
Überlegungen" seien, wie Deuber betonte, könnten solche Maßnahmen
schon einen "weitreichenden globalen Einfluss" haben und den
Aktienmärkten im zweiten Halbjahr ein Rücksetzer drohen. Man sehe
zwar einen gewissen Konzessionswillen von Europa und auch den USA,
aber Russland habe viel weiter gehende Forderungen. Auf militärische
Schritte Moskaus gegen die Ukraine würden wohl die USA und das
United Kingdom - als Signatar-Staaten des Budapester Memorandum von
1994 bei der damaligen KSZE-Konferenz - wohl "mit sehr
einschneidenden Maßnahmen reagieren", so Deuber, und das wäre dann
auch ein großes Risiko für den positiven Ausblick auf die
Kapitalmärkte im ersten Halbjahr.
sp/bel
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