Kapsch TrafficCom sieht kein rasches Ende im Mautstreit mit Berlin
CEO trotz Verlustjahr 2019/20 optimistisch für die Zukunft:
Durch Corona kein Rückschlag für Urbanisierung und Mobilität -
Im Herbst soll neue Strategie stehen -B2B und B2C stärker im
Fokus
Der börsennotierte österreichische
Mautsystemanbieter Kapsch TrafficCom rechnet nach der Kündigung des
deutschen Pkw-Maut-Vertrags nicht mit einer raschen Klärung der
Streitpunkte mit Berlin. "Diesen Sommer oder Herbst erwarte ich kein
Ergebnis, das dauert sicher länger", sagte CEO Georg Kapsch am
Dienstag. Es wäre der größte Auftrag der Firmengeschichte gewesen,
nun kämpft man um Schadenersatz.
Im Juni 2019 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die
deutschen Pkw-Mautpläne für EU-rechtswidrig erklärt, worauf
Deutschland den Vertrag mit dem Konsortium von Kapsch TrafficCom und
CTS Eventim (50:50) kündigte. Im Dezember machten die Partner
zusammen Ansprüche von 560 Mio. Euro gegenüber Deutschland geltend.
Da der zuständige Minister den Anspruch bestritt, ist ein
Schiedsgericht am Zug. Das könne "mehrere Jahre dauern", so Kapsch.
Von 40 Mio. Euro Einmalbelastung für Kapsch im Jahr 2019/20
entfielen allein 9 Mio. Euro auf das Aus für diesen Mautvertrag.
CEO Kapsch blickt indes - nach einem herben Verlustjahr -
optimistisch in die Zukunft und will dem Unternehmen mit weltweit
5.000 Mitarbeitern über den Sommer eine neue Strategie verpassen.
Dem Verkehr und der Maut werde man treu bleiben und hier die
Aktivitäten sogar noch stärker auch Richtung B2B und B2C ausdehnen,
mit Ticketing- und Maut-Abbuchungssystemen in Europa, aber auch
Nordamerika, wie der Firmenchef im Online-Bilanzpressegespräch am
Dienstag sagte. In Europa bietet man von Deutschland aus
Pkw-Onboard-Units für Reisen in süd- und westeuropäische Länder an,
die das Anstellen bei Mautstellen ersparen sollen. In den USA hat
man vor zwei Monaten ein "Upload" genanntes Maut-Abbuchungssystem
gestartet. Kapsch: "Wir hatten Pech, weil wir genau in die
Coronazeit hineinkamen mit 60 bis 70 Prozent weniger Verkehr - wir
sehen da aber gute Chancen." Kapsch fungiert dabei als single
account, kompatibel mit verschiedenen Betreibern. Und als drittes
gebe es noch das Lkw-Geschäft. Urbanisierung und Mobilität würden
durch Corona keinen Rückschlag erleiden, deshalb wolle man die
Verkehrssteuerung in Städten forcieren. Ob die neue Strategie auf
Akquisitionen hinauslaufe oder auf organisches Wachstum, lasse sich
jetzt noch nicht sagen.
Im Geschäftsjahr 2019/20 (per 31.3.) hat Kapsch TrafficCom einen
herben Verlust von 48,1 Mio. Euro erlitten - in der Periode davor
gab es noch 47,8 Mio. Euro Gewinn. CEO Kapsch sprach von einem
"verflixten Jahr", in dem man durchaus auch selbst Fehler gemacht
bzw. einige Risiken falsch eingeschätzt habe. In verschiedenen
Ländern war man mit negativen Sonderfaktoren konfrontiert - auch
neben der Maut-Kündigung in Deutschland. Nach positiven 57,0 Mio.
Euro brach das Betriebsergebnis (EBIT) auf minus 39,2 Mio. Euro ein.
Für 2020/21 geht Kapsch aber von einem "klar positiven EBIT" aus.
Dafür stimme ihn zuversichtlich, dass sich die negativen
Einmaleffekte nicht wiederholen würden, dass man Komplexität und
damit auch Kosten senke und dass die Probleme in Nordamerika -
Personalmangel trotz starken Wachstums sowie Schwierigkeiten mit
einer Software - im Griff seien. Dass man die Dividende nicht ganz
streicht, sondern sie von 1,50 Euro auf 0,25 Euro je Aktie kürzt,
könne man sich durch den positiven Free Cashflow leisten. Die Aktien
legten am Dienstagvormittag - an einem insgesamt noch festeren
Gesamtmarkt - um knapp 1,9 Prozent auf 19,10 Euro zu.
Für 2019/20 listet der Geschäftsbericht 40 Mio. Euro
Einmaleffekte auf, allen voran im Segment Intelligente
Mobilitätslösungen (ISM) -27 Mio. Euro durch Wertminderungen und
Wertberichtigungen, primär wegen neuer Einschätzungen zum
Geschäftsverlauf in Sambia, wo es nicht behebbare regulatorische
Hindernisse gebe. Da damit die Geschäftsaussichten enttäuschend
seien, überlege man sich, was man mit dem Markt anfangen werde,
sagte Kapsch.
Mit zwei Mio. Euro negativ zu Buche schlug das tschechische
Maut-Thema. Dort hatte Kapsch mehr als dreizehn Jahre ein Mautsystem
betrieben, dieses lief aus, es gab eine Neuausschreibung, jedoch kam
man nicht zum Zug. "Das lief nicht sauber", so der CEO. Trotz
verschiedener rechtlicher Schritte ging der Auftrag an einen
Mitbewerber, womit Kapsch TrafficCom ein Auftragsvolumen von 70 Mio.
Euro verloren habe. "Wir können daran nichts ändern. Das Thema hat
sich leider erledigt", sagt der CEO. Allenfalls könne man noch die
eine oder andere kleine Kompensation erstreiten.
Den Umsatz hielt Kapsch TrafficCom 2019/20 mit 731 Mio. nach 738
Mio. Euro beinahe. Im Mautsegment (Electronic Toll Collection, ETC),
das drei Viertel der Erlöse bringt, stiegen diese leicht auf 564
(558) Mio. Euro und das EBIT blieb mit 1 (65) Mio. Euro knapp
positiv. 2018/19 hatte die EBIT-Marge in dem Segment noch 12 Prozent
betragen. Schwieriger gestaltet sich der Bereich IMS (Intelligent
Mobility Services), da verschlechterte sich die Marge von -4 auf -24
Prozent, der Umsatz sank um knapp sieben Prozent auf 168 (179) Mio.
Euro.
(Schluss) sp/tsk
ISIN AT000KAPSCH9
WEB http://www.kapsch.net