WIIW erwartet "sanfte Landung" für Länder Mittel-Osteuropas
Ökonom Astrov: Arbeitskräftemangel ist wichtige Stütze für
Wirtschaftswachstum - Heuer Rezession in der Türkei, in den
nächsten Jahren wieder Wachstum über 3 Prozent - GRAFIK
2019 ist für die meisten Länder Mittel-, Ost- und
Südosteuropas (MOSOEL) trotz der Konjunkturabschwächung "immer noch
ein sehr gutes Jahr", bringt Vasily Astrov vom Wiener Institut für
Internationale Wirtschaftsvergleiche die WIIW-Herbstprognose auf den
Punkt. "Die wichtigsten Ausnahmen sind die Türkei und Russland."
"Aber man merkt auch, dass die Auslandsnachfrage nachgibt", sagte
Astrov am Mittwoch bei der Präsentation der aktuellen
Konjunkturprognose des WIIW für die 23 Länder der Region. "Das führt
zu einer gewissen Wachstumsverlangsamung in den meisten Ländern. Die
Exporte verlieren an Schwung und teilweise drückt das bereits auf
die Investitionen", was in den Visegrad-Ländern schon recht deutlich
sichtbar sei. Die öffentlichen Investitionen würden sich weiterhin
gut entwickeln, "die Wirtschaftspolitik bleibt expansiv und
gleichzeitig gibt es geringe Anzeichen von Überhitzung". Auch sei
bereits ein leichter Rückgang des Arbeitskräftemangels erkennbar.
Für die kommenden zwei Jahre erwartet das WIIW eine
Wachstumsbeschleunigung in der Region insgesamt, wobei es aber große
Unterschiede zwischen den Ländern gebe und die erwartete
Beschleunigung nur auf eine Erholung in Russland und der Türkei
zurückzuführen sei.
Heuer hätten fast alle Länder ein "ganz ordentliche
Wachstumsraten" vorzuweisen. Die Türkei hingegen stecke immer noch
in einer Krise. Zwar gebe es quartalsweise bereits einer Erholung,
"aber für das Jahr als Ganzes erwarten wir immer noch eine Rezession
in der Türkei", die türkische Wirtschaft dürfte heuer um 0,7 Prozent
schrumpfen, sagte Astrov. Im nächsten Jahr wird dort aber bereits
ein Wachstum von 3,1 Prozent erwartet und für 2021 ein BIP-Plus von
3,3 Prozent.
"Das ist wenig für die Türkei" und vor allem auf das starke
Bevölkerungswachstum zurückzuführen, relativierte der Türkei-Experte
des WIIW, Richard Grieveson. Im langjährigen Schnitt sei die
türkische Wirtschaft doppelt so schnell gewachsen. In den letzten 20
Jahren habe die Türkei ihr Wirtschaftswachstum durch externe
Schulden finanziert und werde das in einem Umfeld niedriger Zinsen
auch 2020 und 2021 schaffen. "Es ist aber fast fix, dass irgendwann
wieder eine Krise kommt. So circa alle zehn Jahre kommt dieses
Modell in eine Krise."
"Die zweite große Ausnahme ist Russland", sagte Astrov. "In
Russland rechnen wir heuer mit einem Wirtschaftswachstum von etwa
einem Prozent, was natürlich sehr niedrig ist und viel niedriger als
in den meisten anderen Ländern der Region." Ein wesentlicher Grund
dafür sei eine sehr restriktive Fiskalpolitik. "Und das hat
natürlich auch Auswirkungen auf das Wachstum in Weißrussland, weil
die beiden Ländern sehr stark miteinander verbunden sind."
Besonders gut entwickeln sich heuer die elf jungen
EU-Mitgliedsländer, für die heuer im Durchschnitt ein Wachstum von
fast 4 Prozent erwartet wird. "Das ist sehr, sehr hoch", betonte
Astrov, "wenn man bedenkt, dass das Wachstum im Euroraum heuer
wahrscheinlich nur leicht oberhalb von einem Prozent liegen wird.
Der Wachstumsvorsprung gegenüber der Eurozone wird wahrscheinlich
drei Prozentpunkte ausmachen." Das sei "sehr beeindruckend", weil
die meisten dieser Länder starke Wirtschaftsverflechtungen mit dem
Euroraum hätten.
Dennoch gebe es eine gewisse Wachstumsverlangsamung gegenüber
früheren Jahren, es gebe also eine "sanfte Landung", so der
WIIW-Ökonom. Hauptgrund seien schwächelnde Güterexporte wegen der
Wachstumsverlangsamung im Euroraum und speziell in Deutschland.
"Länder, die besonders viel nach Deutschland exportieren und die
Autos exportieren, sind besonders stark betroffen." Bei Russland,
Kasachstan und Weißrussland spiele auch der Rückgang der Ölpreise
eine Rolle.
Die heimische Nachfrage entwickle sich hingegen gut, wobei auch
eine expansive Fiskalpolitik und eine "großzügige Sozialpolitik"
eine Rolle spiele. "Polen und Kasachstan sind zwei Länder, wo die
Sozialpolitik besonders großzügig ist."
Die Löhne würden sich gut entwickeln. "Der Arbeitskraftmangel
stellt eine wichtige Stütze des Wirtschaftswachstums dar", so
Astrov. "Das ist natürlich eine paradoxe Aussage", aber im Prinzip
gehe es darum, dass der Arbeitskräftemangel auf Grund
demographischer Entwicklungen zu einem starken Lohnwachstum geführt
habe, was wiederum eine wichtige Stütze für das Wirtschaftswachstum
sei. Allerdings habe Zuwanderung die Arbeitsmärkte in jüngster Zeit
entlastet, und zwar nicht nur Zuwanderung aus der Ukraine oder den
Westbalkanländern, sondern auch aus Ländern wie Vietnam, Bangladesch
oder der Mongolei.
Die privaten Investitionsquoten von rund 20 Prozent seien mit
jenen in Deutschland oder Frankreich vergleichbar, "aber für diese
Länder ist diese Investitionsquote von 20 Prozent zu niedrig, um
langfristig ein höheres Wachstum und Konvergenz zum westeuropäischen
Niveau zu ermöglichen". Das zweite Problem sei, dass die meisten
privaten Investitionen in letzter Zeit keine produktiven
Investitionen gewesen, sondern in Immobilien geflossen seien. "In
Ungarn war das ganz extrem. In den letzten fünf Jahren haben sich
die Immobilienpreise dort fast verdoppelt."
( 1366-19, Format 88 x 126 mm)
(Schluss) ivn/itz
ISIN
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