Verbund-Chef: Für Stromwende noch viel zu tun
Neben neuen Kraftwerken auch Speicher und Netze auszubauen -
Anzengruber: Investments müssen sich aber auch rechnen - Für
CO2-Bepreisung - Hoffnung auf baldigen 380-kV-Baustart in
Salzburg
Für die Wende in Richtung Strom-Vollversorgung aus
erneuerbaren Energien ist laut Verbund-Generaldirektor Wolfgang
Anzengruber noch viel zu tun. Neben dem Ausbau der CO2-freien
Stromerzeugung gilt es auch die Speicher und die Netze auszubauen
und sich neuen Technologien zuzuwenden, Stichwort Wasserstoff. Alle
Investments müssten sich aber wirtschaftlich rechnen, betonte
Anzengruber am Freitag.
Die E-Wirtschaft benötige möglichst rasch das angekündigte
Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG), das dafür das Marktsystem
definieren solle. Für den weiteren Ausbau von Wasserkraft,
Windkraft, Solarenergie und Biomasse seien - innerhalb dieser vier
Technologien - flexible Marktprämien nötig, die sich an den
Vollkosten orientierten, aber abhängig vom Strompreis sein sollten.
Steige der Strompreis, würde der Unterstützungsbedarf entsprechend
sinken.
Der Markt selbst gebe nicht alles her, deshalb werde - selbst für
neue Wasserkraftwerke - eine Förderung nötig sein, verwies der
Verbund-Chef im Klub der Wirtschaftspublizisten auf die mit 80 Euro
pro Megawattstunde (MWh) recht hohen Vollkosten bei Wasserkraft. Bei
Wind- und PV-Strom seien es nur rund 60 Euro/MWh - dieser Strom sei
aber nicht gleich viel wert, weil die Verfügbarkeit zeitlich
eingeschränkt sei (Stichwort Dunkelflaute) und die Lebensdauer
dieser Anlagen kürzer sei. Das Jahr habe 8.760 Stunden, aber selbst
Wasserkraftstrom stehe im Schnitt nur 5.500 Stunden pro Jahr zur
Verfügung, je nach Anlage. Bei Photovoltaik seien es sogar nur 1.500
Stunden jährlich. Die Differenz auf 8.760 Stunden sollten Anbieter
zusätzlich zur eigenen Menge künftig selbst zukaufen müssen.
Besonders hohen Bedarf werde es künftig an Stromspeichern geben -
vor allem an Pumpspeicherkraftwerken, aber auch anderen
Speichermöglichkeiten, bis hin zu Batteriespeichern. Die
Pumpspeicher sollten von der doppelten Netzgebühr befreit werden,
die derzeit einmal beim Wasser Hinaufpumpen bei niedrigen
Strompreisen und noch einmal bei der Stromerzeugung bei höherem
Preisniveau anfallen. Für 2030, wenn Österreichs Stromversorgung
bilanziell übers Jahr gerechnet zu 100 Prozent erneuerbar erfolgen
soll, schätzt Anzengruber den Speicherbedarf auf 10 Terawattstunden
(TWh) jährlich - vor allem zum saisonalen Ausgleich -, was immerhin
15 Prozent des Strombedarfs eines ganzen Jahres entspricht. Derzeit
verfüge Österreich trotz seiner guten Ausgangsposition erst über 4
TWh Speicher. Die Pumpspeicher allein könnten diese Lücke nicht
füllen. Den Speicherbereich sieht Anzengruber als ein großes
Wachstumsfeld für verschiedene Firmen, auch der Verbund werde sich
hier engagieren.
Auch der Netzausbau werde weitergehen müssen, auf allen Ebenen -
auch weil es heute nicht mehr möglich sei, die Kraftwerke dort
hinzustellen, wo sie benötigt werden. Zur Salzburger 380-kV-Leitung
hat der Verbund bzw. seine Hochspannungstochter APG noch immer den
Herbst für den Start der Bauvorbereitungen auf dem Kalender stehen,
allerdings nur wenn den Rechtsmitteln gegen die zweitinstanzliche
Freigabe des 800-Millionen-Euro-Projekts keine aufschiebende Wirkung
zuerkannt wird. Das sollte hoffentlich noch vor dem Sommer klar
sein, hofft Anzengruber.
Zugunsten des Klimaschutzes wünscht sich Anzengruber eine
CO2-Bepreisung, wenngleich er eine CO2-Steuer nicht haben will. Am
besten wäre ein CO2-Mindestpreis, egal ob der bei 50, 60, 70 oder 80
Euro pro Tonne liege. Er sollte einmal definiert werden und dann
schrittweise steigen. Erübrigt habe sich der CO2-Mindestpreis,
sobald er über dem CO2-Marktpreis liege. Nehme man das
1,5-Grad-Temperaturerhöhungsziel bis Ende dieses Jahrhunderts ernst,
müssten in Österreich die Emissionen pro Kopf von derzeit zehn auf
eine Tonne sinken; rechne man mittelbare Effekte (Güterimporte)
hinzu, seien es pro Kopf 15 Tonnen im Jahr. Die energieintensive
Industrie sollte freilich nicht aus Europa vertrieben werden "ganz
im Gegenteil - wir sollten schauen, dass die Industriequote in
Österreich steigt".
Die Auftrennung der gemeinsamen deutsch-österreichischen
Stromhandelszone Anfang Oktober 2018 habe das Preisniveau in unserem
Land gegenüber dem Nachbarn um 6 bis 7 Prozent verteuert. Bei
Forward-Notierungen gebe es sogar 10 Prozent Aufschlag: "Für 2020/21
sehen wir eine Differenz von 4 bis 5 Euro pro Megawattstunde, das
sind circa 10 Prozent." Im Intraday-Handel und "day ahead" sehe man
noch deutlich höhere Unterschiede - und das Netz könne an der
künstlich geschaffenen Preiszonengrenze auch "auseinanderbrechen",
weil es sich um "eine neue Sollbruchstelle" handle. Wegen
marktverzerrender Effekte durch die Trennung hatte der Verbund 2018
mit dem Stahlkonzern voestalpine und der Wiener Strombörse EXAA den
deutschen Übertragungsnetzbetreiber TenneT auf Wiederherstellung des
früheren Zustands geklagt. Das Verfahren laufe, so Anzengruber.
(Schluss) sp/kre
ISIN AT0000746409
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