Kapsch: Brauchen jetzt keine EU-Erweiterung, sondern Vertiefung
IV-Präsident war früher für EU-Beitritt der Türkei, "macht
derzeit aber keinen Sinn" - "Briten werden als liberales
Element in EU fehlen" - Nur auf Start-ups und KMU setzen
"falscher Weg"
Mit parteipolitischen Äußerungen hat sich
IV-Präsident Georg Kapsch bisher eher zurückgehalten, aus seiner
liberalen, pro-europäischen Haltung aber nie ein Hehl gemacht und
sich in der Vergangenheit auch klar für eine Erweiterung der EU
ausgesprochen. In diesem Punkt habe er seine Meinung jedoch in den
vergangenen Jahren geändert, sagte Kapsch im Gespräch mit der APA.
"Wir sollten anderen Ländern die Türe nicht zuwerfen, wir sollten
aber auf Grund der Stimmungslage in Europa etwas vorsichtiger
umgehen", meint Kapsch. "Ich glaube, wir brauchen jetzt eine
Vertiefung der Europäischen Union und wir brauchen eine
Neudefinition der Aufgaben der Nationalstaaten und der EU selbst.
Damit brauchen wir auch eine Diskussion über die Frage der
europäischen Institutionen und auch der Frage, wie diese
Institutionen bestellt oder gewählt werden."
Es sei nicht einzusehen, warum man bei einer Europawahl von
nationalen Listen wählen müsse und nicht zum Beispiel spanische,
polnische, tschechische oder italienische Kandidaten wählen könne.
Ebenso wenig sei es einzusehen, warum es keine Direktwahl des
Kommissionspräsidenten gebe.
"Ich war immer ein Freund einer sehr weitgehenden Vertiefung und
in Wahrheit am Ende einer Art Bundesstaat", so Kapsch. "Aber man
muss die Realitäten zur Kenntnis nehmen: Das würde die Menschen in
Europa einfach überfordern und den europäischen Gedanken töten."
Auch im Hinblick auf einen möglichen EU-Beitritt der Türkei habe er
seine Meinung geändert, sagte Kapsch. Dieser mache aufgrund der
aktuellen politischen Entwicklungen und jener der vergangenen Jahre
keinen Sinn. Die wirtschaftlichen Beziehungen sollten aber intakt
bleiben.
Der Brexit werde die EU sehr schmerzen und ihr schaden, "weniger
wirtschaftlich als gesellschaftspolitisch". Zwar hätten die Briten
viele Sonderrechte gehabt, "aber auch ein liberales Element in die
Europäische Union eingebracht, das in den anderen Ländern
weitestgehend fehlt. Das könnte dazu führen, dass wir noch
etatistischer werden als wir heute ohnehin schon sind."
In der Flüchtlingsfrage sieht der IV-Präsident große Versäumnisse
der EU und der osteuropäischen EU-Mitglieder. "Wir haben die Länder
Italien und Griechenland über Jahre einfach im Regen stehen
gelassen. Wie soll Griechenland - trotz der übertriebenen
Militarisierung des Landes - Grenzen mit hunderten Inseln schützen?
Das geht ja nicht."
"Der nächste Schritt muss jetzt eigentlich sein, dass wir ein
entsprechendes Verteilungssystem in Europa finden - weil es kann mir
doch kein Mensch erklären, dass ein Kontinent mit über 500 Millionen
Menschen nicht in der Lage ist, fünf Millionen Flüchtlinge
aufzunehmen." Man müsse aber grundsätzlich unterscheiden zwischen
Wirtschaftsmigration und Asyl. Asyl sei ein Menschenrecht. "Bei der
Wirtschaftsmigration sehe ich das Thema ganz anders, da glaube ich
schon, dass wir selektieren können und müssen." Die EU müsse in den
betroffenen Ländern Zentren einrichten um die wirtschaftliche
Situation in diesen Ländern zu verbessern und dort bereits zu
entscheiden, wer nach Europa darf und wer nicht.
Sehr kritisch sieht Kapsch die Bürokratie in Europa, aber auch in
Österreich. "Die Bürokratie in Europa - und zwar nicht die Beamten
in Brüssel, sondern die strengen Regulative im Bereich Compliance
und Governance, wo wir weit übers Ziel geschossen haben - kostet
ungefähr drei Prozent des europäischen BIP." Auch in Österreich sei
"die Bürokratie erdrückend, die Steuerlast eine Katastrophe und das
Arbeitszeitrecht ein Anachronismus", meint der
Industriellen-Präsident.
Der EU und auch den Politikern in Österreich wirft Kapsch vor,
"auf die tragende Säule der Wirtschaft zu vergessen, nämlich auf die
Leitbetriebe". Es sei ein Fehler, "diese in Zukunft von
Technologieförderungen auszuschließen und alles in Richtung
Start-ups und KMU zu drehen. Das ist eindeutig der falsche Weg, denn
damit kille ich die gesamte inkrementelle Innovation."
Wie zuletzt Politik gemacht und der Wahlkampf betrieben wurde,
führt zu noch größerer Politikverdrossenheit, meint Kapsch. Knapp
vor der Wahl noch Gesetze durchzudrücken sei "ein echter Skandal.
Man sollte wirklich einführen, dass ab dem Zeitpunkt, ab dem der
Nationalrat beschlossen hat sich aufzulösen, keine nachhaltigen
Beschlüsse mehr gefasst werden dürfen. Dann kommen wir auch von
diesen idiotischen Wahlgeschenken weg, die nur Geld kosten und die
nächste Generation bezahlen darf." Den Wahlkampf sollte man auf
maximal fünf Wochen beschränken.
(Das Gespräch führte Ivan Novak/APA)
(Schluss) ivn/phs
ISIN AT000KAPSCH9
WEB http://www.kapsch.net/
http://www.kapsch.net