CEO: Wir werden in Österreich eventuell noch auf die
Möglichkeit der Kurzarbeit zurückgreifen müssen -
"Hybrid-Stahlwerk" könnte nach 2030 starten - (Von Birgit
Kremser/APA) - BILD
Der von US-Präsident Donald Trump
angefachte internationale Handelsstreit und seine Strafzölle auf
Stahl-und Aluminiumimporte versetzen auch dem oberösterreichischen
Stahlkonzern voestalpine einen gehörigen Dämpfer. Gleichzeitig
erfordern die EU-Klimaschutzziele (CO2-Neutralität bis 2050)
milliardenschwere Investitionen. Der Konzern muss sparen. Als
nächstes droht Kurzarbeit in Österreich.
"Wenn es zu Auftragsausfällen oder Verschlechterungen kommt,
würden wir als nächsten Schritt auf die Möglichkeit der Kurzarbeit
in Österreich zurückgreifen", sagte Konzernchef Herbert Eibensteiner
im Gespräch mit der APA. "Wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz", fügte
er hinzu. Forciert würden derzeit die Reduktion von Überstunden,
Urlaubsabbau, Einsparungen bei Personalleasingfirmen und "natürlich
werden nicht alle freiwerdenden Stellen nachbesetzt".
Die voestalpine betreibt weltweit rund 500 Standorte mit mehr als
50.000 Beschäftigten, fast 23.000 davon in Österreich. Das
Kontingent der Leiharbeiter - in guten Zeiten sind damit weltweit
mehr als 3.000 Stellen besetzt - wurde mittlerweile fast auf null
zurückgefahren.
Besonders stark betroffen von den im Sommer 2018 eingeführten
US-Strafzöllen auf europäische Stahl- und Aluminiumimporte ("Section
232") ist voestalpine Tubulars im steirischen Kindberg. Dort wird
die Produktion seit vergangenen September gedrosselt - es wurde von
Vier- auf Dreischichtbetrieb mit zehn Prozent weniger Personal
umgestellt. 125 der rund 1.300 Mitarbeiter an dem Standort seien
inzwischen anderswo im Konzern, bei Partnerfirmen oder in der
Stahlstiftung untergekommen, hieß es nun gegenüber der APA. In
Kindberg werden Nahtlosrohre für die Öl- und Gasindustrie
hergestellt.
In Deutschland und Holland weht bei der voestalpine bereits ein
noch wesentlich schärferer Wind - in zwei Werken wird in größerem
Stil Personal abgebaut. Bei der deutschen Konzerntochter Buderus
Edelstahl in Wetzlar etwa werden demnächst 325 der 1.500 Jobs
gestrichen - bei 125 Arbeitnehmern laufen Ende März auf ein Jahr
befristete Verträge aus und werden nicht erneuert; zusätzlich sind
beim Stammpersonal in den kommenden Monaten rund 200 Kündigungen
geplant. Darüber werde jetzt im Jänner und im Februar verhandelt,
berichtete Eibensteiner.
Auch der "Green Deal" der EU setzt die voestalpine als größten
Kohlendioxid-Emittenten Österreichs unter Druck. Denn bis 2050 muss
demnach selbst die europäische Schwerindustrie CO2-frei produzieren.
Das erfordert bei dem Stahlhersteller eine grundlegende
Technologieumstellung und hohe Investitionen, "die aber auch
wirtschaftlich darstellbar sein müssen", betonte der CEO. Derzeit
ist der Stahl- und Technologiekonzern für rund die Hälfte der
CO2-Emissionen der gesamten heimischen Industrie und somit für etwa
10 Prozent aller Kohlendioxid-Emissionen in Österreich
verantwortlich.
Mindestens 1 Mrd. Euro würde es das Unternehmen kosten, drei der
fünf Hochöfen in Österreich von klimaschädlicher Kohle auf Strom
umzustellen. "Das wird schon noch dauern", räumte der
voestalpine-Chef ein. Davor bräuchte der Stahlhersteller ein
220-kV-Netz, um die notwendige Energie dafür zur Verfügung gestellt
zu bekommen. Das soll laut heimischem Übertragungsnetzbetreiber APG
bis 2026 möglich sein. "Man kann also erst nach 2026 investieren",
umriss der Konzernchef die Zeitschiene. Frühestens ab 2030 könnte
das "Hybrid-Stahlwerk", mit dem der CO2-Ausstoß der Voest um ein
Drittel (also um drei bis vier Millionen Tonnen pro Jahr) sinken
würde, dann in Betrieb gehen.
"Damit wir aber auch wirklich starten können, muss die
Wettbewerbsfähigkeit gegeben sein. Und davon sind wir jetzt sehr
weit weg." Eibensteiner wünscht sich dafür etwa "einen Strompreis,
der deutlich niedriger ist und eine Zweckwidmung der
ETS-Zertifikatskosten (Kosten im EU-Emissionsrechtehandel, Emission
Trading System, Anm.) für Innovationen in grüne Technologien". Er
wies darauf hin, dass die voestalpine im laufenden Geschäftsjahr
rund 100 Mio. Euro für CO2-Zertifikate bezahle und dieses Geld nicht
zweckgewidmet sei.
Doch selbst wenn die voestalpine, wie angedacht, die zwei
kleineren Hochöfen in Linz und einen der beiden in Donawitz durch
Elektro-Öfen ersetzt, fehlen immer noch zwei Drittel CO2-Reduktion.
"Es gibt noch die Möglichkeit, Wasserstoff in unserem Prozess zu
verwenden - das ist eine Geschichte, die nach 2035 vorstellbar ist",
so Eibensteiner. "Das Thema ist wieder, wie wirtschaftlich ist eine
Wasserstofftechnologie und auch technisch ist noch sehr viel
Forschungsarbeit zu leisten. Wir stehen fast am Anfang",
verdeutlichte der Manager. Ziel ist es, Kohle und Koks als
Energieträger für die hohen Temperaturen, die für die Stahlerzeugung
nötig sind, zu ersetzen und somit die CO2-Emissionen zu senken. Ohne
finanzielle Unterstützung der EU und Österreichs ist solch ein
Transformationsprozess laut Eibensteiner "nicht machbar".
Die heimische türkis-grüne Regierung hat bei den
Klimaschutzzielen kürzlich noch ein Schäuferl nachgelegt: Österreich
soll die CO2-Neutralität schon zehn Jahre früher als von der EU
vorgegeben schaffen. "Die Verschärfung der Ziele auf 2040 hat uns
doch sehr überrascht", merkte der voestalpine-Chef an. Ansonsten
wertete er das aktuelle Regierungsprogramm als "guten Versuch,
Industriepolitik und Klimapolitik gleichberechtigt darzustellen".
"Es sind dort gute Punkte drin", meinte der CEO unter Verweis auf
die angekündigten Maßnahmen zur Stärkung des Kapitalmarktes, des
dualen Ausbildungssystems und der Ausbildung im MINT-Bereich
(Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) sowie auf
die Förderung von Forschungsprogrammen, die Förderprogramme für
CO2-freie und grüne Technologien, die Entlastung der unteren
Einkommen und die Senkung der Körperschaftsteuer (KÖSt).
Eibensteiner steht seit einem halben Jahr an der Spitze der
voestalpine. Schonfrist hatte er keine: Seinen Einstand begleiteten
- neben den weltweiten Handelsstreitigkeiten und den ambitionierten
EU-Klimaschutzzielen - der technologische Umbruch samt
Nachfrageflaute in der Autoindustrie, mit der die voestalpine als
Zulieferer immerhin ein Drittel ihres Umsatzes macht, ausufernde
Hochlaufkosten im US-Automotive-Werk in Cartersville (Georgia), hohe
Rohstoffkosten für das Roheisenwerk in Corpus Christi (Texas),
massiv gestiegene Erzpreise und in weiterer Folge Gewinnwarnungen.
Zuletzt wurde bei der voestalpine vor Weihnachten ein zusätzlicher
Bedarf an Sonderabschreibungen, Vorsorgen und Rückstellungen im
Volumen von 360 Mio. Euro bekannt, der die Erträge im laufenden
Geschäftsjahr 2019/20 (per Ende März) deutlich nach unten drückt.
Am 6. Februar legt die voestalpine ihre Zahlen für das dritte
Geschäftsquartal vor - Analysten rechnen mit operativen Verlusten
und dann für das Gesamtjahr 2019/20 mit einer kräftigen
Dividendenkürzung. Laut Raiffeisen Centrobank (RCB) dürfte sich die
Ausschüttung von zuletzt 1,10 Euro je Aktie (2018/19) auf 60 Cent
fast halbieren. Im Geschäftsjahr 2018/19 war der Konzerngewinn (nach
Steuern) um 44 Prozent auf rund 459 Mio. Euro zusammengeschmolzen.
Der Umsatz hatte sich auf 13,6 Mrd. Euro belaufen.