HANDELSBLATT, Dienstag, 12. Februar 2008, 11:39 Uhr
Praktiken der Bankberater
„Ich
habe Sie betrogen“
Von Melanie Bergermann, Wirtschaftwoche
In vielen Filialen
deutscher Banken herrschen Zustände wie in einer Drückerkolonne. Jetzt packen Bankberater aus: Wie sie
Kunden belügen, weil sie dem Vertriebsdruck, den Drohungen und Demütigungen ihrer Vorgesetzten nicht mehr
gewachsen sind. Sie sind Opfer und Täter zugleich. Der Report über ein Tabuthema.
Zustände wie in einer Drückerkolonne. Bankberater packen aus.
Besser
könnte der Eindruck nicht sein. Eine Dame in dunklem Anzug kommt dem Bankkunden schwungvoll entgegen.
Karina B.* ist um die 30 und Privatkundenbetreuerin einer Filiale der SEB Bank im Ruhrgebiet. Sie lächelt
verbindlich, nimmt den Kunden in der Eingangshalle mit festem Händedruck in Empfang und führt ihn zu
ihrem tadellos aufgeräumten Schreibtisch. Bei einer Tasse Kaffee erkundigt sich Karina B. nach dem
persönlichen Befinden - "und was machen die Kinder?" Sie kennt den Kunden gut, sie weiß, was er auf der
hohen Kante hat. Deswegen hat sie ihn ja heute eingeladen. Nach wenigen Minuten lenkt sie das Gespräch
auf eine "ganz besondere Anlagechance", ein Zertifikat für 10 000 Euro. Das, sagt sie, sei genauso sicher
wie Festgeld, die Rendite garantiert, genau das Richtige für ihn. Der Kunde ist schnell überzeugt: "Wenn
Sie das sagen, wird es schon stimmen."
Ein Fehler. Das Produkt, das ihm Karina B. gerade
verkauft hat, ist in Wahrheit hoch spekulativ. Das Geld ist genauso wenig sicher wie die versprochene
Rendite. Die schicke Dame hat ihren Kunden eiskalt angelogen. Am Morgen hatte ihr Chef die Devise
ausgegeben, jeder Berater der Filiale müsse ein 10 000-Euro-Zertifikat verkaufen. Und Karina B. weiß:
Wenn sie ihren Arbeitsplatz behalten will, muss sie die Vorgaben erfüllen. Egal wie. Die SEB wollte zu
dieser Verkaufspraxis keine Stellungnahme abgeben.
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Expertenforum bei Wiwo.de: Bankberater packen aus
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So
beschreibt Karina B. ihren Arbeitsalltag. Die WirtschaftsWoche hat in den vergangenen Monaten Dutzende
von Filialangestellten verschiedener Banken in Deutschland interviewt - von Commerzbank und
HypoVereinsbank bis zur schwedischen SEB, von der kleinen Weberbank in Berlin bis zur Deutschen Bank und
den großen Sparkassen. Karina B. ist eine von ihnen, die in langen Gesprächen ausgepackt haben: über die
Angst vor Kollegen und Vorgesetzten und darüber wie sie Kunden Produkte aufschwatzen, die diese gar nicht
brauchen. Der WirtschaftsWoche liegen interne Mails und Papiere vor, die belegen, dass in der
vermeintlich seriösen Branche nicht selten Zustände herrschen wie in einer Drückerkolonne.
Ausgeklügeltes System individueller Vertriebsziele
Der Fall des Derivatehändlers Jérôme
Kerviel, dessen betrügerische Spekulationen seine Bank, die französische Société Générale, knapp fünf
Milliarden Euro kosteten, sorgte in den vergangenen Wochen weltweit für Schlagzeilen. Ein solch
gigantisches Betrugsvolumen ist ein Ausnahmefall. Allerdings, das belegen Recherchen der
WirtschaftsWoche, gehören Tricksereien zum Alltag des Bankgeschäfts. Sicher: Nicht jeder Bankmitarbeiter
bedient sich unlaute- rer Methoden, um die von ihm geforderten Ziele zu erreichen. Doch die wachsende
Vertriebsnot in den Filialen treibt viele Mitarbeiter gerade dazu an. Zum Schaden der Banken - vor allem
aber der Kunden.
Es ist ein ausgeklügeltes System individueller Vertriebsziele - unterfüttert
mit Drohungen und Demütigungen -, das den Traumjob Banker für viele Privatkundenberater zum Albtraum
macht. Und für die Kunden den Besuch einer Filiale zum unkalkulierbaren Risiko. Denn aus dem Berater von
früher ist ein Verkäufer geworden, der oft leichtes Spiel hat: "Wenn sich jemand ein Auto kauft,
vergleicht er vorher die Preise, wenn jemand ein Bankprodukt kauft, tut er das nicht", sagt ein Berater
der Berliner Weberbank. "Deshalb funktioniert der Vertriebsdruck der Banken so gut", sagt Friedrich
Schade, der 15 Jahre lang angestellter Banker bei verschiedenen Instituten war und heute für einen
Finanzdienstleister arbeitet. "Die Menschen vertrauen den Bankern oft blind." Sie verzichten darauf, sich
Verträge durchzulesen, Renditen zu vergleichen oder sich bei verschiedenen Banken beraten zu lassen.
Die individuellen Vertriebsziele unterscheiden sich von Bank zu Bank: Einige Institute fordern
von ihren Mitarbeitern, ein bestimmtes Ertragsziel zu erfüllen, andere schreiben den einzelnen Beratern
genau vor, wie viele Lebensversicherungen, Kredite oder Fonds sie pro Woche verkaufen müssen und für wie
viele Neukunden sie zu sorgen haben. Und diese Vorgaben haben sie zu erfüllen. Irgendwie. Sie stehen
unter ständiger Beobachtung ihrer Vorgesetzten, müssen sich rechtfertigen, wenn ein Kunde die Filiale
verlässt, ohne einen Vertrag abzuschließen. In den Aufenthaltsräumen einiger Filialen hängen
Mitarbeiter-Rankings aus, die schlechte Verkäufer bloßstellen. Oft wird auch mit Kündigung gedroht.
Lesen Sie weiter auf Seite 2: Der Eskimo im Kühlschrank.
"Wenn es darauf ankommt,
verkaufen wir einem Eskimo einen Kühlschrank", sagt Claudia S.*, langjährige Mitarbeiterin der Dresdner
Bank. "Signalisiert der Vorgesetzte, dass er Sie schon irgendwie aus dem Job kriegt, falls Sie die Ziele
nicht erreichen", sagt ein Betriebsrat einer Frankfurter Großbank, "dann kommt es eben so weit." Die
Dresdner Bank möchte die Äußerung ihrer Mitarbeiterin nicht kommentieren.
Karina B. und viele
ihrer Kollegen bei anderen Banken empfehlen den Kunden, neue gegen alte Aktien zu tauschen, auch wenn es
gar nichts bringt; sie drehen den Kunden Zertifikate an, selbst wenn Fest- oder Termingelder sinnvoller
wären; sie drängen zum Abschluss überflüssiger Versicherungen. Und all das nur, weil sie die Produkte
aktuell noch verkaufen müssen oder der Bank hohe Provisionen winken.
"Die Zahl von
Falschberatungen hat in den vergangenen Jahren zugenommen", sagt Eva Raabe, Bankenexpertin bei der
Verbraucherzentrale Hessen. Viele Banker, mit denen sie spricht, würden ganz offen sagen: "Wir müssen
doch unsere Ziele erreichen." Genau darin liegt für Kritiker das Problem: "Die Mitarbeiter würden
anfangen, den Kunden Produkte anzudrehen, die sie nicht brauchen", sagt ein Sprecher der ING Diba, die
auf individuelle Vertriebsziele verzichtet. "Eine solche Kultur wollen wir nicht bei uns." Das Institut
ist so immerhin Direktbank-Marktführer in Deutschland geworden.
"Sie wollen mit 65 doch nicht
jeden Cent dreimal umdrehen müssen?"
Auch bei der GLS Bank in Bochum, die sich auf
ethisch-ökologische Investitionen spezialisiert hat, gibt es die umstrittenen Vorgaben nicht. "Die
individuellen Ziele können Mitarbeiter so unter Druck setzen, dass der Kunde die für ihn falschen
Produkte angedreht bekommt", sagt GLS-Chef Thomas Jorberg. "Mit vorgegebenen aggressiven
Vertriebsmethoden schafft ein Vertriebsverantwortlicher die Voraussetzung für unzufriedene Kunden und
Schäden durch Falschberatung."
So wie im Fall Karina B. Das 10 000-Euro-Zertifikat hat sie
heute schon verkauft. Nun sitzt ein Neukunde vor ihr. Der Mann plaudert offen über seine
Vermögenssituation, wo er investiert hat und wo nicht. Vor allem aber erfährt Karina B., wie gut er
informiert ist - wie weit sie also bei ihm gehen kann.
Sie empfiehlt ihm, sein Gespartes in
einen Fonds einzuzahlen. Und da er, wie er sagt, jeden Monat einige Hundert Euro übrig hat, soll er
gleich noch einen Fonds-Sparplan abschließen. Um seine Altersvorsorge müsse er sich ebenfalls kümmern:
"Sie wollen mit 65 doch nicht jeden Cent dreimal umdrehen müssen?" Natürlich nicht. Genauso wenig will er
sich die Toprendite der Fonds entgehen lassen, die Karina B. ihm prophezeit.
Lesen Sie weiter
auf Seite 3: Die dubiosen Geschäftspraktiken.
Trotzdem. Heute unterschreiben will er nicht. Er
möchte sich die Unterlagen zu Hause noch einmal in Ruhe durchsehen. Für Karina B. ist das eine
Katastrophe.
Sie muss den Kunden irgendwie überzeugen, auch wenn sie nur allzu gut versteht,
dass er nichts überstürzen will. Denn wenn er jetzt nicht unterschreibt, wird sie gleich ihrem Chef
erklären müssen, warum sie in dieser Stunde keinen Ertrag für die Bank erwirtschaftet hat.
Erfahrungsgemäß kommt der Kunde zwar wieder, das Geschäft verzögert sich nur um ein paar Tage. Doch sie
darf ihm nicht dazu raten, die Unterlagen daheim noch einmal in Ruhe zu lesen. Ihr Chef hat früher schon
einmal deutlich gemacht, dass er solch "geschäftsschädigendes Verhalten" nicht duldet: "Wenn Sie das noch
einmal machen, gibt es eine Abmahnung", drohte er damals. Die SEB möchte über diesen Aspekt der
Vertriebspraxis keine Stellungnahme abgeben.
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» Wiwo.de:
Banken als Opfer
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Karina B.
muss, so berichtet sie, wöchentlich einen Rohertrag, abzüglich aller Kosten, in Höhe von rund 1 500 Euro
erwirtschaften. Mit den individuellen Vertriebszielen konfrontiert, beharrt die SEB auf ihrer
Vertriebsphilosophie: "Natürlich messen wir auch Produktabschlüsse. Vertriebs- und Ergebnisorientierung
bedeutet für die SEB Bank auch, Mitarbeiter an den Vertriebserfolgen zu messen", heißt es in einer
schriftlichen Stellungnahme.
Die Vorgaben von Karina B. sind in Einzelziele für die
verschiedenen Produktkategorien unterteilt. Pro Woche musste sie im vergangenen Jahr, wie aus internen
Dokumenten hervorgeht, im Durchschnitt 1,3 Konsumentenkredite über 12 000 Euro verkaufen, dazu 0,4
Restschuldversicherungen, 1,4 neue Kunden musste sie werben. Solche Vorgaben gibt es für jedes
Produkt.
Neben den Einzel- sind auch die Filialziele zu erfüllen
Zu ihren eigenen
Verkaufsvorgaben muss Karina B. auch die der Filiale erfüllen, also die Schwäche anderer Kollegen
ausgleichen. Von der SEB heißt es dazu, dass es zu einer ertragsorientierten Organisation gehöre,
"Vertriebsziele für Standorte zu definieren, nachzuhalten und zu überprüfen. Im Vordergrund stehen die
Teamleistung und das Teamergebnis".
Was Karina B. gerade ihren Kunden empfiehlt, orientiert
sich auch daran, in welchen Kategorien sie oder die Filiale aufholen müssen. Am 3. Mai vergangenen Jahres
schreibt ein Vorgesetzter an die Mitarbeiter eine E-Mail, die der WirtschaftsWoche vorliegt: "Im
Vorsorgebereich ist die Produktion für diese Woche bei 0", heißt es da. "Auch die Vorwoche hat nicht zum
100%igen Ergebnis geführt. Die Aktivitäten sind umgehend in Form von Cross-Selling aus den vorhandenen
Terminen sowie Termingenerierung sofort zu erhöhen." Am 7. Mai heißt es in einer weiteren Alarm-E-Mail,
die Wochenplanung bedinge "eine Erhöhung der Produktion im Sofortkreditgeschäft". Und im Vorsorgegeschäft
"ist die wöchentliche Produktion zu 100% zu erbringen, d.h. tägliche Produktion". Zwei Tage später dann
die Ermahnung, sich weiter auf Sofortkredite und Vorsorge zu konzentrieren, "hier reicht es noch nicht
aus. Wir brauchen hier noch ein paar Tickets für die Woche".
Lesen Sie weiter auf Seite 4: Das
wiederentdeckte Geschäft mit den Privatkunden.
Noch vor zehn Jahren sah die Bankenwelt anders
aus. "Damals wurden auch Ertragsziele formuliert, allerdings für das ganze Jahr", sagt Ex-Banker Schade.
"Wir hatten genügend Zeit, um die Leute anzusprechen und interessengerecht zu beraten. Trotzdem haben wir
jedes Jahr unsere Ergebnisse gesteigert." Ziele für einzelne Produkte habe es nicht gegeben. Es war kein
Problem, wenn der Wertpapierexperte mehr Wertpapiere und der Versicherungsfachmann mehr Versicherungen
verkaufte.
Die großen Gewinne machten die Banken damals ohnehin im Investmentbanking. Als
diese Einnahmequelle nach dem Börsencrash 2001 zunächst nicht mehr so viel abwarf und die Provisionen
nicht mehr von alleine flossen, sollten die Privatkunden mehr Produkte kaufen und die Gewinneinbrüche
mildern.
Vor dem Problem standen alle Banken weltweit, doch in Deutschland ist der
Privatkundenmarkt aufgrund der starken Position der Sparkassen und Genossenschaftsbanken besonders
umkämpft. Gerade Geschäftsbanken, die über Jahre ihre Privatkunden vernachlässigt hatten, versuchten in
den vergangenen Jahren mit niedrigen Kreditzinsen und hohen Guthabenzinsen Privatkunden zu ködern.
"Der Verkaufsdruck auf die Mitarbeiter ist spürbar stärker geworden."
Das hat zu einem
Preisverfall geführt, der Zinsüberschuss - der Gewinn aus dem klassischen Bankgeschäft, dem Leihen und
Verleihen von Geld - sank in den vergangenen Jahren kontinuierlich. Daher sind die Institute stärker auf
Provisionen aus der Vermittlung etwa von Fonds oder Versicherungen angewiesen. Dieses Geschäft
anzukurbeln ist die Hauptaufgabe der Berater in den Filialen, wo "gerade bei den großen Banken oft
gnadenloser Druck herrscht", sagt Schade. "In den vergangenen Jahren sind die Renditeerwartungen im
Privatkundengeschäft sehr deutlich gestiegen", sagt Uwe Foullong, Bundesvorstand der Gewerkschaft Verdi
und zuständig für Finanzdienstleistungen, "der Verkaufsdruck auf die Mitarbeiter ist spürbar stärker
geworden."
Morgens acht Uhr, eine Filiale der Commerzbank im Ruhrgebiet. Privatkundenberater
Gisbert W.* hat am Wochenende kaum geschlafen, immer wieder ist er aufgewacht und musste an diesen Montag
denken. Wie soll er seinen Kollegen erklären, dass er zwar Girokonten eröffnet und Kredite verkauft hat,
es mit Wertpapieren aber nicht so geklappt hat? Alle Vertriebsmitarbeiter treffen sich nun zum
Gruppengespräch. Sie sitzen auf ihren Bürostühlen, die sie im Kreis aufgestellt haben.
Der
Filialleiter berichtet, welche Produkte das Team in der vergangenen Woche verkauft und wie viel Ertrag
das gebracht hat. Dann schaut er jeden einzelnen Mitarbeiter im Kreis an und spricht es aus: "Das waren
98 Prozent dessen, was Sie zu erreichen hatten. Das ist zu wenig. Wenn andere Filialen 120 Prozent
schaffen, warum dann Sie nicht?" Dass im strukturschwachen Ruhrgebiet Geldanlage nicht gerade der Renner
ist, will er nicht hören. Auch dass in der vergangenen Woche zwei Kollegen krank waren, lässt er nicht
gelten. Jeder Einzelne muss ran und vor den anderen berichten, was er verkauft hat.
Lesen Sie
weiter auf Seite 5: Was die Bank will: Die Beratungsstrategien der Banken.
Ähnlich wie bei der
SEB muss ein Commerzbank -Mitarbeiter bestimmte Ertragsvorgaben erreichen, unterteilt in Ziele für bis zu
fünf einzelne Produkte. Hierzu heißt es von der Commerzbank: "Vorgesetzter und Mitarbeiter vereinbaren
gemeinsam individuelle Ziele, deren Umsetzung überprüft wird."
"Die Liste mit dem, was man
schon verkauft hat und welche Produkte in dieser Woche noch raus müssen, haben wir ständig präsent", sagt
Gisbert W. "Die Beratung der Kunden orientiert sich daran, was die Bank will, und nicht daran, was der
Kunde braucht." Für diese Aussage eines ihrer Filialmitarbeiter "haben wir keine Erklärung. Die Aussage
ist aber insofern nicht nachvollziehbar, als sie nicht der Beratungsrealität der Commerzbank entspricht",
heißt es in einer Stellungnahme der Bank.
Nun ist an jenem Montagmorgen Gisbert W. an der
Reihe. "Halten Sie sich selbst für einen Gewinn für die Filiale", fragt ihn sein Chef. "Ich hoffe schon",
antwortet der Berater. Daraufhin fragt der Chef die Kollegen: "Halten Sie den Kollegen für eine
Bereicherung?" Die Antworten fallen kurz aus. "Du musst mal zu Potte kommen", sagt einer. "Du musst mal
ein paar Leute mehr anrufen, wenn du Fonds verkaufen willst", sagt ein anderer. Jeder darf - und soll -
in dieser Runde offen sagen, was er von den Leistungen der anderen hält.
Es rollen auch schon
mal Tränen
Von der Commerzbank heißt es hierzu, dass Leistungen eines einzelnen Mitarbeiters
nur im direkten Gespräch mit dem Vorgesetzten und nicht in der Gruppe besprochen würden. "Darüber hinaus
gehören auch Teamrunden in unserer Bank ganz selbstverständlich zur Führungskultur unseres Hauses." Dazu,
ob Krankenstände bei der Festsetzung der Teamziele berücksichtigt werden, wollte sie sich nicht
äußern.
Montag, 15 Uhr, in einer Filiale der Deutschen Bank im Rhein-Main-Gebiet. Jetzt ist
Christiane B.* dran. Sie muss zum Leistungsgespräch. Den ganzen Tag über hat die
Deutsche-Bank-Mitarbeiterin ständig auf die Uhr geschaut, es hat ihr gegraut vor diesem Moment. Wie jedes
Mal. Sie betritt das Büro ihres Chefs, setzt sich ihm gegenüber an den Schreibtisch. "Was können wir für
Sie tun", fragt er. "Fühlen Sie sich nicht wohl bei uns?" Sie blickt ihn nur an und schweigt. " Sie sind
nicht richtig bei der Sache. Sie schließen viel weniger Verträge ab als ihre Kollegen. Das muss besser
werden. Sie müssen mehr verkaufen, dafür sind Sie hier." Christiane B. nickt nur.
Sie weiß
nicht, was sie noch sagen soll. In den ersten Gesprächen hat sie noch versucht zu erklären, wie viele
Termine sie ausmacht, wie sie versucht, die Kunden zu überzeugen. Aber jetzt will sie das Gespräch nur
irgendwie durchstehen. Eigentlich glaubt sie nicht, dass sie wirklich so schlecht abschneidet, die
anderen haben schließlich auch nicht mehr Kundentermine als sie. Und erst in der vergangenen Woche lief
eine Kollegin nach dem Vertriebsleistungsgespräch weinend aus dem Büro des Filialleiters. Aber Christiane
B. weiß nicht, wo sie steht. Darüber, wie viel sie verkaufen, reden die Kollegen nicht. "Das behält jeder
für sich", sagt sie. "Ich glaube, jeder hat Angst davor, dass er am Ende doch der Schlechteste ist." Die
Deutsche Bank wollte sich nicht dazu äußern, ob es zutrifft, dass jeder Mitarbeiter individuelle
Vertriebsziele zu erfüllen hat und ob es regelmäßige Vertriebsleistungsgespräche gibt.
Lesen
Sie weiter auf Seite 6: Der ständige Druck.
Eine Ruhrgebietsstadt am späten Nachmittag.
Marlene I. ist Mitarbeiterin einer SEB -Filiale. Sie hat Feierabend. Endlich. Heute, so denkt sie, wird
sie entspannt nach Hause gehen können. An einem Tag hat sie so viel Geschäft gemacht, wie sonst in einer
Woche. Eigentlich Grund genug, um eine Flasche Champagner zu köpfen. Aber als sie sich auf den Heimweg
macht, kassiert sie Schelte vom Vorgesetzten; er beklagt sich, dass sie heute nicht einen einzigen
Konsumentenkredit verkauft hat. Morgen müsse sich das ändern.
Bei den Kollegen wird der Erfolg
ebenfalls für wenig Freude sorgen, das weiß sie jetzt schon. Zwar verbessert er die Stellung der Filiale
im Vergleich zu den anderen Niederlassungen, doch "wenn einer outperformt, setzt das die anderen unter
Druck. Dann wird von ihnen auch mehr erwartet", sagt Marlene I. Wenn andere Kollegen mehr Ertrag
abliefern, kann auch ein Mitarbeiter, der seine Ziele erfüllt, im internen Ranking nach unten rutschen.
Gehört er zu den fünf bis zehn Prozent derer, die am wenigsten verkauft haben, gilt er als
"Low-Performer" - und steht auf der Abschussliste, wenn die Zahlen nicht binnen drei Monaten besser
werden. Die SEB kommentierte das nicht.
Dabei ist es gar nicht so einfach, einen
"Schlechtleister" loszuwerden. "Wenn Mitarbeiter einen Bonus dafür erhalten, dass sie ihre Ziele
erreichen, kann man ihnen nicht kündigen, nur weil sie die Ziele nicht geschafft haben", sagt Regina
Glaser, Anwältin für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek in Düsseldorf. "Unterschreitet
jedoch ein Mitarbeiter dauerhaft mehr als ein Drittel der durchschnittlichen Arbeitsleistung der
vergleichbaren Kollegen und kann der Arbeitgeber dies anhand objektiv messbarer Ergebnisse darlegen, dann
kommt gegebenenfalls nach vorheriger Abmahnung eine Kündigung in Betracht." Das sei aber schwer
nachzuweisen, "da es auch an den Kunden liegen kann, dass ein Berater weniger Abschlüsse gemacht hat",
sagt Glaser.
Der Kampf jeder gegen jeden hat in vielen Filialen die Teamarbeit abgelöst
Die von der Wirtschaftswoche interviewten Mitarbeiter wissen von subtileren Methoden als der
blanken Kündigung. "Bei uns ist es vorgekommen, dass alle Filialmitarbeiter Überstunden machen mussten,
weil ein Einziger seine Ziele nicht erfüllt hat", berichtet ein Betriebsrat einer Frankfurter Großbank.
"Das wurde so lange gemacht, bis alle genügend Druck auf den Kollegen ausgeübt haben, dass er gegangen
ist. So etwas hält niemand aus."
Gerhard W.*, Kundenbetreuer der Hypo-Vereinsbank (HVB),
berichtet, dass in seiner Abteilung Listen aushängen, die Auskunft darüber geben, welcher Mitarbeiter mit
welchem Volumen zum Teamziel beigetragen hat. Die HVB bestreitet das. "Wer dauerhaft schlecht
abschneidet, hat einen schlechten Stand bei den Kollegen", sagt Gerhard W. "Es wird über die Schlechten
gelästert, wenn sie dabei sind. Sie sollen ein schlechtes Gefühl bekommen, damit sie sich mehr
anstrengen. In meinem Team gab es jemanden, der wurde irgendwann einfach ignoriert. Man hat so getan, als
gebe es ihn gar nicht. Er wurde weder gegrüßt noch hat jemand mit ihm geredet."
Der Kampf
jeder gegen jeden hat in vielen Filialen die Teamarbeit abgelöst. Individuelle Vertriebsziele haben sich
auf breiter Basis in der Bankenlandschaft durchgesetzt. "In Sachen Vertriebsdruck sind die privaten
Banken Trendsetter. Volksbanken und Sparkassen folgen. Sie hinken nur etwas hinterher", sagt
Verdi-Vorstand Foullong. Offiziell formulieren einige Institute zwar bis heute nur Verkaufsziele auf
Ebene der Filialen. "Doch die Filialleiter brechen die Ziele auf jeden einzelnen Mitarbeiter herunter",
bestätigen mehrere Mitarbeiter der Dresdner Bank gegenüber der WirtschaftsWoche. Die Dresdner Bank
bestreitet das.
Lesen Sie weiter auf Seite 7: Ziele werden mit zeitlichen Vorgaben
verknüpft.
In manchen Banken werden die Ziele sogar mit konkreten zeitlichen Vorgaben
verknüpft. HVB -Mitarbeiter Gerhard W. berichtet, er dürfe für eine Baufinanzierungsberatung höchstens
eine Stunde auf- wenden. Sonst gebe es Ärger mit dem Vorgesetzten. Die HVB bestreitet auch das.
Bei der DB Direkt, der Direktbank-Gesellschaft der Deutschen Bank, soll ein Mitarbeiter für das
Gespräch mit einem Kunden, der eine Überweisung tätigen will, inklusive Nachbearbeitung durchschnittlich
höchstens 2.50 Minuten aufwenden. So lautet, wie Betriebsräte der WirtschaftsWoche bestätigen, die
Vorgabe des Arbeitgebers. Für Expertengespräche, zu denen etwa der Abschluss eines Kreditkartenvertrags
gehört, liegt die Vorgabe bei 3.35 Minuten, für Wertpapiergeschäfte inklusive Nachbearbeitung bei vier
Minuten.
Ein Teil der Gehälter wird bei derDB Direkt nur dann ausgezahlt, wenn die Mitarbeiter
ihre Ziele erreichen. Dochdas scheint kaum möglich. Die Wertpapierexperten haben ihr Zeitziel seit der
Einführung 2003 nicht einmal erreicht. Die Mitarbeiter, die für Expertengespräche zuständig sind, haben
ihr Ziel bis 2005 erreicht. Dasselbe gilt für Mitarbeiter, die sich um Tätigkeiten wie Überweisungen
kümmern - dann wurde die Zeitvorgabe verschärft. Seitdem verfehlen auch sie ihr Ziel. Das berichten
Betriebsräte und Mitarbeiter. Die Deutsche Bank will sich dazu nicht äußern. In einer Stellungnahme heißt
es, dass "der Kunde und seine Erwartungen an die Bank im Mittelpunkt" stünden. "Entsprechende
Servicekomponenten, die wir monatlich durch ein unabhängiges Institut im Dialog mit unseren Kunden
überprüfen lassen, werden unmittelbar als Messpunkte für die Zielerreichung herangezogen." Das Kriterium
"Gesprächszeit ist in diesem Modell nachgelagert".
Das System der Angst hat Folgen
Die Mitarbeiter empfinden die Zeiterfassung nicht als nachrangig - sondern als deprimierend. Ihnen
werde ständig das Gefühl vermittelt, sie seien nicht gut genug, sagt ein Angestellter.
Dieses
System der Angst hat Folgen. Nach einer Mitarbeiterbefragung des Commerzbank -Betriebsrats aus dem Jahr
2006 hagelte es deprimierende Erfahrungsberichte, die im Intranet veröffentlicht wurden. "Seit Monaten
kann ich in der Nacht zu Montag kaum schlafen. Pro Woche schlage ich mir meist noch ein bis zwei weitere
Nächte um die Ohren." Ein Filialleiter schreibt, dass er "montagmorgens überwiegend in desillusionierte
Gesichter" schaut. "Auch Angst vor der Zukunft und Tränen gehören zur Tagesordnung." "Wache nachts auf
und komme gar nicht mehr zur Ruhe." "Am Wochenende kann ich nicht abschalten, weil ich weiß, was mich in
der nächsten Woche erwarten wird." "Es tut weh, MA (MA: Mitarbeiter, Anm. d. Red.) weinen zu sehen, weil
sie sich angesichts der hohen Ziele in einer strukturschwachen Filialgegend als "Verlierer" oder
"Versager" fühlen", ist dort zu lesen.
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Friedhof-Kunden: Nicht nur Kunden, auch die Banken selbst fallen dem Betrug ihrer Berater zum Opfer.
Deren Methoden sind oft makaber.
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Dass es
sich hierbei nicht nur um eine kleine Zahl enttäuschter Commerzbanker handelt, wird gestützt durch eine
Untersuchung der Krankenkasse DAK. Demnach halten 45 Prozent der befragten Vertriebsmitarbeiter im
Kreditgewerbe, die an sie gestellten Zielvorgaben für unrealistisch. Auffällig ist auch, dass psychische
Erkrankungen hier häufiger vorkommen als in anderen Branchen. In 12,4 Prozent aller Fälle melden sich
Arbeitnehmer im Kreditgewerbe aus psychischen Gründen krank. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt der
Fehlzeitenreport der Krankenkasse AOK. Demnach nahm die Anzahl der Tage, die Bankmitarbeiter in
Deutschland wegen psychischer Erkrankungen fehlten, zwischen 1995 und 2006 um 43 Prozent zu, die Zahl der
einzelnen Fälle gar um 70 Prozent.
Für die Kunden ist die Verwandlung der Berater in einfache
Verkäufer eine Katastrophe. "Sie können sich nicht sicher sein, ob sie ein Produkt empfohlen bekommen,
weil es wirklich gut ist oder weil es in dieser Woche noch verkauft werden muss", sagt
Dresdner-Bank-Beraterin Claudia S. "Ich habe Kunden über den Tisch gezogen und habe ihnen Produkte mit
schlechten Konditionen verkauft", sagt HVB-Mitarbeiter Gerhard W. Die Dresdner Bank wollte zu der Aussage
keine Stellungnahme abgeben. Von der HVB heißt es: "Durch die Transparenz des Baufinanzierungsmarktes hat
jeder Kunde die Möglichkeit eine Finanzierung abzuschließen, die seinen Vorstellungen hinsichtlich
Produkt und Kondition entspricht."
Lesen Sie weiter auf Seite 8: Verkaufe bergen Nachteile für
Kunden.
Ein Mitarbeiter einer großen Sparkasse berichtet, dass er regelmäßig Darlehen zum
Hausbau nur unter der Bedingung gegeben hat, dass die künftigen Immobilienbesitzer auch eine
Gebäudeversicherung abschließen. Die Versicherung brachte zusätzlichen Ertrag. Mitarbeiter der
Commerzbank und der SEB Bank bekennen gegenüber der WirtschaftsWoche, dass sie Kunden dazu motivieren,
ihre Wertpapiere gegen andere einzutauschen, sobald sie Gewinn gemacht haben, "auch wenn davon auszugehen
ist, dass die Papiere noch gut laufen und der Verkauf nachteilig für den Kunden sein wird", sagt SEB
-Beraterin Marlene I.
Der Bank bescheren sie damit Einnahmen durch Ordergebühren und bringen
sich selbst aus der Schusslinie. Von der Commerzbank heißt es hierzu, diese Behauptung "ist für uns nicht
nachvollziehbar. Verkaufsempfehlungen werden nur aufgrund einer aktuellen Markteinschätzung und der
Anlageziele des Kunden getroffen". In einer schriftlichen Stellungnahme der SEB heißt es, "wir betrachten
es als ein Zeichen von Kundenorientierung und aktiver Kundenansprache, Wertpapierkunden auch darauf
hinzuweisen, Gewinne zu realisieren, insbesondere in diesen turbulenten Börsenphasen. Ob die Wertpapiere
weiter gestiegen wären, ist reine Spekulation".
"Viele Berater haben mit inneren Konflikten zu
kämpfen", sagt Gewerkschafter Foullong "sie stehen vor der Wahl, einem Kunden ein Produkt zu verkaufen,
das er vielleicht gar nicht braucht, oder ihr Ziel nicht zu erreichen." Der Mitarbeiter einer
ausländischen Großbank gibt zu, dass er Anlegern riskante geschlossene Fonds so schmackhaft gemacht hat,
bis sie endlich unterschrieben. "Ich konnte wochenlang nicht schlafen. Der Kunde tat mir leid, aber ich
hatte auch Angst, dass alles rauskommt", sagt er. Als er seinem Chef davon erzählte, soll der ihm auf die
Schulter geklopft und gesagt haben: "Mach dir keine Sorgen, es passiert schon nichts." Dergleichen kommt
nicht nur bei den großen Banken vor, wie der Fall Dieter P.* zeigt.
Wider besseres Wissen
Bei der Weberbank in Berlin, einem Institut, das vor allem reiche Privatkunden bedienen will,
liegt der Kundenbesprechungsraum im Erdgeschoss am Hohenzollerndamm. Milchglasscheiben sorgen für
Diskretion. Lichtspots an der Decke leuchten den Raum aus. An einem ovalen Tisch aus hellem Holz treffen
sich die Wohlhabenden mit den Bankern. Die Kunden kennen ihre Berater meist lange Jahre, sie verbindet
ein Vertrauensverhältnis. Doch das Vertrauen ist nicht immer gerechtfertigt. Vor allem bei älteren Kunden
habe er das Vertrauen ausgenutzt, bekennt Weberbank-Berater Dieter P. "Ich habe einem fast 80 Jahre alten
Mann eine individuelle Vermögensverwaltung verkauft", sagt er, "obwohl das zweifelsohne nicht mehr das
Richtige für ihn war."
Bei einer individuellen Vermögensverwaltung muss der Kunde mindestens
500 000 Euro in ein Depot einzahlen, mit dem die Bank dann arbeitet. Sie investiert das Geld dann etwa in
Aktien. Weil hierallerdings naturgemäß Schwankungen an den Märkten einkalkuliert werden müssen, sollte
laut Dieter P. seriöserweise immermit einer Laufzeit von mindestens fünfJahren gerechnet werden. "Das
kann man keinem alten Kunden ohne erkennbaren Erbhintergrund empfehlen", sagt der Be-rater. "Trotzdem
habe ich das gemacht.Die Erträge für eine separate Vertriebsaktion haben gewunken." Es könne "absolut
angezeigt sein, einem fast 80 Jahre altenMann eine Vermögensverwaltung zu empfehlen", sagt Wolfgang
Harth, Leiter desPrivatkundengeschäfts der Weberbank in Berlin dazu.
Einer anderen Kundin, die
sich in Finanzangelegenheiten nicht auskannte, hat Dieter P. empfohlen, einen beträchtlichen Teil ihres
Vermögens in einen Lebensversicherungsfonds zu investieren. Das Geschäft war mit neun Prozent der
Anlagesumme für die Bank hoch provisioniert - und das war für Dieter P. die einzige Motivation der Kundin
das Produkt zu empfehlen. Harth sagt, dass einzig die Kundenbedürfnisse Grundlage der Beratung seien.
Lesen Sie weiter auf Seite 9: Das interne Vertriebsranking.
Dieter P. sieht das
anders. Er erklärt, dazu aufgefordert worden zu sein, gerade hoch provisionierte Produkte zu verkaufen.
Zudem werde dafür gesorgt, dass jeder Berater sehen kann, wo er im internen Vertriebsranking steht. "Es
werden Listen mit allen Einzelabschlüssen bei der Teamassistenz geführt. Die sind für alle Teammitglieder
jederzeit einsehbar", sagt er. Weberbank-Vorstand Klaus Siegers dagegen erklärt, die Listen könnten nicht
von allen Teammitgliedern eingesehen werden, sie dienten vielmehr der Teamleitung zur Ertragskontrolle.
"Innerhalb eines Teams sind Teilaspekte (ca. 30% der Geschäfte) von den anderen Teammitgliedern
einsehbar", heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme.
Im ersten Gespräch mit einem Kunden
horcht Dieter P., so berichtet er, ganzgenau nach, wie gut der sich auskennt. Die informierten und
selbstbewussten Kunden seien unbeliebt und würden im Kollegenkreis als "Patienten" bezeichnet. Harth
bestreitet das.
Dass sich am Umgang mit den Kunden durch die seit Anfang des Jahres geltende
Finanzmarktrichtlinie MiFID etwas ändert, glaubt Dieter P. nicht. Eigentlich sollte sie die Rechte der
Verbraucher stärken, sie schreibt vor, dass Berater ihre Provisionen offenlegen. Doch zum einen würden
die Gebühren nur im Kleingedruckten aufgeführt. Zum anderen schütze auch die Richtlinie den Kunden nicht
davor, dass ihm ein günstigeres oder für ihn geeigneteres Produkt vorenthalten wird.
Grund
genug für ein schlechtes Gewissen? "Ein schlechtes Gewissen kann ich mir nicht leisten", sagt Dieter P.
Der Ertrag der Bank soll jährlich gesteigert werden. "Dafür bezahlt mich die Bank."
Wie aus
einer Beratertruppe eine Drückerkolonne wird
Genau das ist das Grundproblem. Die Berater
werden von den Banken bezahlt, sollen aber eigentlich im Sinne der Kunden handeln. Damit sich die Kunden
der Loyalität des Beraters sicher sein könnten, müssten sie ihn bezahlen. Die Quirin Bank in Berlin
verlangt von Kunden daher eine Pauschale und zahlt ihnen als Gegenleistung die Provisionen aus, die sie
von den Produktanbietern bekommt. Das Modell konnte sich aber bisher nicht durchsetzen. "Durch den
Preiskampf der Banken hat sich in der Bevölkerung die Vorstellung durchgesetzt, dass bei den Banken
vieles umsonst ist", sagt Ex-Banker Schade.
So wird aus einer Beratertruppe eine
Drückerkolonne: "Wenn ein Kunde unzufrieden mit mir ist, halte ich das eher aus, als wenn mein Chef
unzufrieden ist", sagt Weberbanker Dieter P. "Denn der Kunde sitzt nur ein- bis zweimal im Jahr vor mir.
Außerdem kann ich ihm meistens etwas vormachen. Vor meinem Chef muss ich mich einmal die Woche
rechtfertigen. Abwechselnd alleine beim Vertriebsleistungsgespräch und mit meinen Kollegen bei der
Teambesprechung. Vor ihm kann ich mich nicht herausreden." Die Weberbank bestreitet, dass es diese
Vertriebsleistungsgespräche gibt. Stattdessen würde in den Mitarbeitergesprächen über aktuelle
Marktentwicklungen gesprochen. Dabei ginge es darum, gemeinsam zu erörtern, welche Anlageprodukte "für
welche Kunden angesichts der jeweils aktuellen Lage opportun sind", heißt es.
Was für die
Kunden opportun ist - die Muße, sich darüber Gedanken zu machen, hat SEB -Beraterin Karina B. nicht. Ihr
graut am Mittwoch schon wieder vor dem Ende der Woche. Denn ob sie ihr Verkaufsziel in der Sparte
Vorsorge noch schafft, ist ungewiss. Wenn der Kunde, der jetzt vor ihr sitzt, nicht unterschreibt - dann
erst recht. Dann, so fürchtet sie, wird sie sich anhören müssen, dass sie ein "Low-Performer" ist. Und
dass sich ihr Arbeitgeber so eine Angestellte nicht leisten kann.
* Name von der Redaktion
geändert
Quelle: Wirtschaftswoche, Nr. 6, 02.02.2008.
http://www.handelsblatt.com/News/printpage.aspx?_p=200039&_t=ftprint&_b=1389647