WIIW: Direkte Brexit-Folgen für Mittel- und Osteuropa vorerst gering
EU-Fiskalregeln bremsen Konjunktur auch im Osten - Wirtschaft
in Mittel-, Ost- und Südosteuropa wächst aber doppelt so
schnell wie in der Eurozone - GRAFIK
Die Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas (MOSOEL)
werden in den nächsten Jahren wirtschaftlich etwa doppelt so rasch
wachsen wie die Eurozone, ein "Bremsklotz" seien dabei die
EU-Fiskalregeln, meinen die Ökonomen des Wiener Instituts für
Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW). Die direkten Folgen der
Brexit-Entscheidung dürften für die Region eher gering sein.
"Wir glauben, dass der Brexit für unsere Prognose keinen
nennenswerten Einfluss haben wird", sagte WIIW-Ökonom Mario Holzner
am Donnerstag bei der Präsentation der Sommerprognose des WIIW.
"Natürlich besteht die Gefahr, dass es eine Reihe von indirekten
Effekten geben könnte, auch über den Handelspartner Deutschland und
über die gesamte Dynamik innerhalb der Europäischen Union." Zwar
hätten zuletzt insbesondere einige Banken ihre Konjunkturprognosen
deutlich nach unten korrigiert, doch "das scheint ein wenig
Panikmache zu sein", meint Holzner. "Wir glauben, dass das nicht
wirklich gerechtfertigt ist. Solange das Vereinigte Königreich nicht
wirklich ausscheidet aus der Union, muss es seine Verpflichtungen ja
auch, was die Einzahlungen in die Töpfe und die Freiheit des
Personenverkehrs anbelangt, einhalten. Das sind Sachen, die
vermutlich frühestens in zweieinhalb bis drei Jahren schlagend
werden."
Direkte Folgen für die mittel- und osteuropäischen Länder aus dem
Ausscheiden Großbritanniens aus der EU könnten sich daraus ergeben,
dass viele Osteuropäer im Vereinigten Königreich arbeiten.
"Beispielsweise leben derzeit ungefähr 100.000 Letten im Vereinigten
Königreich, das macht etwa fünf Prozent der nationalen lettischen
Beschäftigung aus. Würden jetzt alle Letten auf einmal auf den
heimischen Arbeitsplatz zurückkommen, wäre das ein ziemlich
problematisches Event." Die Polen seien mit 790.000 Menschen die
größte Gruppe von osteuropäischen Arbeitnehmern im UK und Polen
hänge auch am meisten von den EU-Strukturhilfen ab. Einerseits gebe
es die Angst, dass diese Menschen relativ plötzlich auf den
polnischen Arbeitsmarkt zurückströmen könnten, andererseits sei das
UK als Nettozahler mit 15 bis 16 Prozent an der Nettofinanzierung
der Strukturhilfen beteiligt.
Für den Zeitraum 2016 bis 2018 erwarten die WIIW-Experten für die
MOSOEL ein Trendwachstum von rund 3 Prozent - um 1 bis 1,5
Prozentpunkte mehr als für die Eurozone. Der Konsum der
Privathaushalte wird die EU-geförderten Investitionen als
wichtigster Wachstumstreiber ablösen.
Von diesem Wirtschaftswachstum in Osteuropa werde auch Österreich
profitieren, da diese Länder ein wichtiger Handelspartner seien. Die
Wettbewerbsfähigkeit Österreichs sei dadurch nicht in Gefahr, denn
die Löhne in diesen Ländern würden stärker wachsen als die
Produktivität, "das heißt, dass die Lohnstückkosten dort steigend
sind". Was die österreichischen Direktinvestitionen in den MOSOEL
angeht, sei nun "die Zeit der Ernte gekommen", so Holzner. Die
Einkommen aus FDI seien auf Niveau von etwa zehn, elf Milliarden
Euro jährlich gestiegen, und die Mittel- und Osteuropäer hätten
daran einen wesentlichen Anteil.
Für die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) und die Ukraine
scheint die wirtschaftliche Talfahrt durch den Ölpreisverfall und
Krieg beendet zu sein, nach einer nun folgenden Phase der Stagnation
könne man ein leichtes Wachstum erwarten, meinen die WIIW-Ökonomen.
Als größter "Bremsklotz" für einen nachhaltigen wirtschaftlichen
Aufschwung in Europa werden die rigiden EU-Fiskalregeln angesehen.
"Die Erholung des Euroraumes fällt leider bescheidener aus als noch
zu Beginn des Jahres erwartet worden ist", sagte WIIW-Ökonom
Holzner. Das liege daran, dass der Ölpreis ein wenig angezogen und
auch der Euro an Wert gewonnen habe, "auch wenn er in den letzten
Tagen wieder etwas abgesackt ist". Außerdem seien die im vergangenen
Jahr sehr hohen Asylausgaben heuer wegen der rückläufigen Anzahl von
Asylwerbern zurückgegangen.
"Die quantitative Lockerung der EZB wirkt weiterhin
unterstützend", so Holzner, "aber, und das hat auch schon die OECD
Anfang des Jahres angemahnt, ohne begleitende, koordinierte
expansive Fiskalpolitik in der EU wird es keinen nachhaltigen
Aufschwung geben." Der Brexit sei "ein Showcase" für die fehlende
Kooperation in der EU.
( 0748-16, 88 x 158 mm)
(Schluss) ivn/phs
ISIN
WEB http://www.wiiw.ac.at/