Eder - In Europa in 20 Jahren zwei Drittel der Stahlkapazitäten weg
Weltstahlverbandschef: "Es wird immer noch zu sehr in
Millionen Tonnen und zu wenig ans Ergebnis gedacht" - Viele
hängen noch an den Hochöfen
Der Präsident des Weltstahlverbandes und
voestalpine-Chef Wolfgang Eder zeichnet ein düsteres Bild für die
Stahlhersteller in Europa. Er spart auch nicht mit Kritik an der
eigenen Branche, die mit hohen Kosten, Konkurrenz aus Fernost und
hohen Überkapazitäten kämpft. "Wir müssen uns in Europa in den
nächsten 20 Jahren wohl von etwa zwei Dritteln der Kapazitäten
verabschieden."
Das prognostiziert Eder in einem interview im deutschen
"Handelsblatt" (Donnerstagausgabe). "Das sind Commodities, da werden
wir nicht mehr konkurrenzfähig sein." Der Rest seien anspruchsvolle
Spezialprodukte, "auf die müssen wir uns konzentrieren" und dabei
die Wertschöpfungskette in Richtung Service und Wartung ergänzen.
Derzeit verdienten die europäischen Stahlkonzerne nicht einmal mehr
die Kapitalkosten.
Europas Stahlindustrie falle im Technologiewettbewerb zurück,
warnt Eder. Die Führung verlagere sich in Richtung Asien nach Japan,
Südkorea und auch China. "Deshalb müssen wir das Problem der
Überkapazitäten lösen, um wieder auskömmliche Preise zu erzielen.
Und wir müssen weg von der Produktion von Massenstählen, weil deren
Erzeugung in anderen Regionen deutlich kostengünstiger ist."
Eder teilt die Meinung, dass viele Stahlmanager die
Neuausrichtung jahrelang verschlafen haben: "Die Branche ist
konservativ und verändert sich zu langsam. Viele hängen noch an den
Hochöfen und der klassischen Stahlerzeugung. Es wird immer noch zu
sehr in Millionen Tonnen und zu wenig ans Ergebnis gedacht." Es
zähle nicht Größe und Menge, nur die Profitabilität, unterstreicht
der österreichische Stahlmanager. "Die kann ich nur mit
Spezialisierung erreichen." Darin liege der eigentliche Wert des
Stahls: "in anspruchsvollen Produkten wie Flugzeugturbinen,
Raketenteilen, High-Tech-Autos oder
Hochgeschwindigkeitsbahnstrecken."
"Wenn ich High Tech in Europa produzieren will, kann ich nicht
einfache Stähle aus China oder Indien beziehen", fügt der
Stahlverbandspräsident auf die Frage hinzu, ob es überhaupt noch
eine eigene Stahlindustrie in Europa braucht. "Die voestalpine würde
es in der heutigen Form wohl gar nicht mehr geben, hätten wir nicht
die wahrscheinlich anspruchsvollste Stahlbasis in Europa." Das setze
permanent massive Investitionen voraus, in neue Technologien und in
Forschung und Entwicklung.
Dass in Italien über eine Verstaatlichung von Stahlwerken
diskutiert wird, um Schließungen zu verhindern, ist in den Augen von
Eder "Steinzeit im wirtschaftlichen Verständnis. Wenn wir uns davon
nicht lösen, dann wird das Überleben der Stahlindustrie in Europa
mit einem riesigen Fragezeichen versehen." Die Länder würden sich
die damit verbundenen Subventionen nicht leisten können. Standorte
um jeden Preis zu halten habe schon in den achtziger Jahren nicht
funktioniert. "Warum ist es möglich, Autofabriken nach sechs Monaten
Diskussion mit Gewerkschaften und Politik zu schließen, wo es um
12.000 Beschäftigte geht, aber Stahl-Standorte mit 2.000 oder 3.000
Mitarbeitern auch nach jahrelanger Diskussion nicht?" Für Eder ist
das schwer nachvollziehbar.
Die Voest selber investiert mittlerweile massiv in den USA und
China. China, Indien oder Brasilien sollten zumindest in den
nächsten zehn Jahren nachhaltiges Wachstum zeigen. Eder weist in dem
"Handelsblatt"-Interview Vorstellungen zurück, wonach die
voestalpine vorhabe, in China in eine Stahlproduktion zu
investieren. "Stahl steht bei uns nur noch für 30 Prozent unseres
Portfolios. Wir bauen in China Autoteilewerke, Spezialprofilwerke
und vielleicht auch ein Edelstahlwerk." Doch das koste eben nicht
Hunderte Millionen oder gar Milliarden Euro. "Wir erzeugen dort dann
Spezialprodukte vor allem für die Auto- und Flugzeugbranche. Wir
werden sicher nirgendwo mehr in einen Hochofen investieren." Die
Voest verwende in der Produktanwendung nicht nur Stahl, sondern sehr
viel Aluminium, Kunststoff oder Titan. Damit entwickle sich das
Unternehmen immer mehr zu einem Multi-Werkstoff-Konzern.
Stahl ist bei der voestalpine der einzige Werkstoff, den sie
selber herstellt. "Wir werden ihn kapazitätsmäßig nicht mehr
ausbauen, aber versuchen, unsere bisherige Stahlproduktion zu
erhalten", bekräftigte Eder. "Ich hoffe, dass das auch weiterhin in
Europa möglich sein wird, wenn wir in den nächsten Jahren die
Grundsatzentscheidung dafür treffen müssen."
(Schluss) rf/ivn
ISIN AT0000937503
WEB http://www.voestalpine.com